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Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Titel: Roman eines Schicksallosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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Wasserfläche da – man wies auf sie hin –, welche die Augen blendete, das war schon die Donau, und das Land hier ringsum, das im frühen, aber schon starken Licht nur so glühte und flimmerte, das war – so wurde gesagt – bereits Ungarn. Nach einiger Zeit fuhren wir unter ein ramponiertes Dach ein, standen dann in einer Halle mit lauter ausgeschlagenen Scheiben: der Westbahnhof, wie man um mich herum feststellte, und tatsächlich, er war es, im Großen und Ganzen erkannte ich ihn wieder.
    Draußen, vor dem Gebäude, brannte die Sonne senkrecht auf den Gehsteig herunter. Die Hitze war groß, viel Lärm, viel Staub und viel Verkehr. Gelbe Straßenbahnwagen mit einer Sechs darauf: Also hatte sich auch das nicht geändert. Ein paar Händler, mit merkwürdigem Gebäck, Zeitungen und anderen Sachen. Die Menschen waren sehr schön, und offenbar hatten sie alle zu tun, hatten alle etwas Wichtiges vor, alle waren in Eile, alle liefen drängelnd irgendwohin, strebten in die verschiedensten Richtungen. Auch wir – so erfuhr ich – mussten sofort zur Hilfsstelle, dort unverzüglich unseren Namen angeben, damit wir so schnell wie möglich zu Geld und Papieren kämen – nunmehr unvermeidlichem Zubehör des Lebens. Diese betreffende Stelle befand sich – wie es hieß – nun aber gerade in entgegengesetzter Richtung, in der Nähe des Ostbahnhofs, und so bestiegen wir gleich an der ersten Straßenecke eine Straßenbahn. Die Straßen kamen mir zwar etwas schäbig vor, in den Häuserzeilen da und dort Lücken, die noch vorhandenen Häuser wirkten mitgenommen oder unvollständig, löcherig, scheibenlos, aber ich erkannte die Strecke ungefähr doch, auch den Platz, wo wir ausstiegen. Die Hilfsstelle fanden wir gleich gegenüber einem – tatsächlich noch in meiner Erinnerung existierenden – Kino, in einem hässlichen, grauen, großen öffentlichen Gebäude: der Hof, die Halle, die Gänge schon voller Menschen. Sie saßen, standen, machten sich zu schaffen, lärmten, schwatzten oder schwiegen. Viele trugen irgendwelche zusammengewürfelten Kleider, abgelegte Sachen aus Lagermagazinen und Armeebeständen, Mützen und zuweilen gestreifte Jacken, so wie ich, aber manchmal waren sie auch schon ganz bürgerlich ausstaffiert, in weißem Hemd, mit Krawatte, die Hände auf dem Rücken verschränkt, schon wieder über wichtige Angelegenheiten beratschlagend, würdevoll, so wie damals, als sie nach Auschwitz gingen. Einige beschworen die Verhältnisse in den Lagern herauf, stellten Vergleiche an, andere erörterten die möglichen Aussichten, was die Summe, die Höhe des Beitrags betraf, wieder andere vermeinten Umständlichkeiten, unzulässige Bevorzugungen, Übervorteilungen durch andere, Ungerechtigkeiten entdeckt zu haben, doch eines war allen klar: Man hatte zu warten, und zwar lange. Nur fand ich das zu langweilig, und so habe ich meinen Sack geschultert und bin wieder in den Hof zurückgewandert und vor das Tor hinaus. Wieder habe ich das Kino erblickt, und da ist mir eingefallen: Wenn ich rechter Hand vielleicht einen, höchstens zwei Blocks weiterginge, müsste – falls mein Gedächtnis mich nicht ganz im Stich ließ – die Nefelejts-Straße meinen Weg kreuzen.
    Das Haus habe ich leicht gefunden: Es war noch da und unterschied sich in nichts von den übrigen gelben oder grauen, einigermaßen baufälligen Häusern dieser Straße – zumindest mir schien es so. Im kühlen Tordurchgang entnahm ich dem uralten, eselsohrigen Namensverzeichnis, dass auch die Wohnungsnummer stimmte und ich in den zweiten Stock hinaufsteigen musste. Ich zog mich langsam durch das schimmlige, etwas säuerlich riechende Treppenhaus hoch, durch dessen Fenster ich auf die Außengänge und den trostlos sauberen Innenhof sah: in der Mitte ein bisschen Gras, nun und dann das übliche, traurig bemühte Bäumchen mit seinem kümmerlichen, verstaubten Laub. Gegenüber trat gerade eilig und geschäftig eine Frau mit Kopftuch heraus, den Staublappen in der Hand, anderswoher drang Radiomusik zu mir, und irgendwo brüllte auch ein Kind, und zwar wie am Spieß. Als dann vor mir eine Tür aufging, war ich sehr überrascht, denn nach langer Zeit habe ich auf einmal wieder die winzigen, schrägen Augen Bandi Citroms vor mir gesehen, bloß diesmal im Gesicht einer noch recht jungen schwarzhaarigen, ein wenig untersetzten und nicht sehr großen Frau. Sie wich etwas zurück, wahrscheinlich – wie ich meinte – wegen meiner Jacke, und damit sie mir nicht eventuell

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