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Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Titel: Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livaneli
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hatte ich noch alleine mit einer Saz bestritten, bei der zweiten dann Flöte und Kontrabass hinzugefügt, mich später von einem ganzen Orchester begleiten lassen und auf manchen Alben mit Dingen experimentiert, die mit Volksmusik nichts mehr zu tun hatten. Ich lebte, lernte, entwickelte mich weiter, und all das wirkte sich auf meine Musik aus. Sich hinter den Mauern eines einmal errungenen Erfolgs zu verschanzen, habe ich immer eher als Schwäche angesehen. Dann schon lieber ein neues Risiko eingehen. So wagte ich mich von der Musik zum Film und zum Schreiben und schließlich sogar in die Politik. Weil ich mir einfach das Recht herausnehme, in diesem einzigen Leben auszuprobieren, was ich möchte.

 
    S   chließlich kam, was kommen musste: Ich wurde in die Selimiye-Kaserne zu einem Verhör einbestellt. Der Ausnahmezustand war zwar längst aufgehoben, doch die Militärgerichte arbeiteten munter fort. Auf meiner Vorladung stand auch der Name des Staatsanwaltes, bei dem ich mich zu melden hatte: Yaşar Günaydın.
    Auf der Suche nach Rat wandte ich mich an Enver Özdemir, einen jungen Staatsanwalt, der bereits bei einem Militärgericht tätig gewesen war. Mein Vater hatte ihm einmal bei einer Versetzung geholfen, so dass der junge Mann ihm sehr verbunden war. Als ich ihm von dem Verhör berichtete, meinte er zunächst, dabei handele es sich bestimmt nur um eine Formalität, die sich vielleicht sogar telefonisch erledigen ließe. Dann aber zeigte ich ihm die Vorladung, und nach einem kurzen Blick darauf machte er ein betroffenes Gesicht:
    »Ah, Yaşar Günaydın will dich verhören. Dann sieht die Sache anders aus. Der wird dich in Untersuchungshaft nehmen wollen.«
    Ich konnte es nicht fassen. Sollte ich nach so vielen Umwegen wieder im Militärgefängnis landen? Jahre waren mittlerweile vergangen, aber es änderte sich nichts.
    Zusammen mit Enver Özdemir fuhr ich am bewussten Tag zur Selimiye-Kaserne. In deren langen dunklen Gängen erkannten mich manche der wachhabenden Soldaten, ließen sich Autogramme geben und boten mir Tee an. Dann trat ich in Yaşar Günaydıns großes Büro. Hinter dem Schreibtisch saß ein kleiner, mürrischer Mann mit schwarzem Schnurrbart, der in Akten blätterte und mich zunächst keines Blickes würdigte. Ich sollte ihn nach diesem Verhör erst Jahre später im Fernsehen wiedersehen, nämlich als er in seinem weißen Auto nach einem Attentat von Kugeln zerfetzt gezeigt wurde.
    Schließlich blickte er auf und sagte mir, was mir vorgeworfen wurde. Bei Hausdurchsuchungen sei man auf kurdischsprachige Kassetten mit meinem Namen gestoßen.
    »Die sind nicht von mir«, erwiderte ich.
    »Was soll das heißen?«
    »Ich kann kein Wort Kurdisch, und so kann ich diese Kassetten auch nicht besungen haben.«
    »Aber Sie stammen doch aus Elazığ, wie sollen Sie da nicht Kurdisch können?«, entgegnete er und deutete dabei auf meinen Ausweis.
    »Sie als Jurist kennen doch bestimmt meine Familie, und die stammt eigentlich aus Artvin, worauf ja schon unser Nachname verweist. Mein Vater ist lediglich nach Elazığ versetzt worden.«
    Trotzdem sah er mich weiter misstrauisch an. Offensichtlich war er drauf und dran, mich einzusperren. Auf den Kassetten stünde doch mein Name, wiederholte er, und ich erwiderte, eine Kassette könne man schließlich löschen und neu bespielen.
    Dabei schämte ich mich. Man warf mir vor, die schwermütigen kurdischen Lieder gesungen zu haben, die ich so liebte, und ich stritt dies verhement ab, als sei es tatsächlich etwas Verwerfliches. Ich legte Yaşar Günaydın die mitgebrachten Livaneli-Raubkopien auf den Tisch.
    »Schauen Sie mal, sieht einer von diesen Leuten mir ähnlich?«
    Er nahm die Kassetten in die Hand und drehte und wendete sie mit angewiderter Miene.
    »Was ist das für Zeug?«
    »Das sind Raubkopien. Da haben Leute illegal Kassetten von mir herausgebracht, und weil sie kein Foto von mir hatten, haben sie einfach irgendwelche anderen Bilder verwendet.«
    Er überlegte eine Weile, dann rief er eine Schreibkraft und ließ meine Aussage aufnehmen. Ungeheuer erleichtert trat ich in den sonnigen Tag hinaus. Mein Archiv mit den Raubkopien aber verblieb bei Yaşar Günaydın.
    In der Woche darauf flog ich nach Athen, um mit Mikis Theodorakis an unserer gemeinsamen Platte zu arbeiten. Mikis hatte wunderbare Stücke geschrieben, und obwohl er nicht mit einer besonderen Stimme ausgestattet war und im Allgemeinen nicht selber sang, bat ich ihn, für diese Platte

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