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Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Titel: Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livaneli
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worauf ich zu achten hatte.
    Erste Regel: Auch wenn ich schon meine, den Verstand zu verlieren, dürfe ich nicht vergessen, dass die Folter einmal zu Ende gehen und ich davonkommen werde. Zweite Regel: Die Folterer hätten es darauf abgesehen, mir mit körperlichen und seelischen Quälereien meine Selbstachtung zu rauben; darauf sollte ich mich einstellen. Und drittens: Ich solle unter der Folter so laut wie möglich schreien und nicht so tun, als wäre der Schmerz gar nicht so schlimm. Sollte man mir Stromstöße versetzen, würde ich danach ein paar Tage lang viel Blut im Urin haben, aber auch das werde vergehen. So verwandelten mich die Kameraden schon am ersten Abend in einen Folterkandidaten, dem kein Detail mehr fremd war.
    Ihre Absicht war es, mir zu helfen und mich darauf vorzubereiten, was mich alles erwartete. Was sie taten, war aber ein Fehler. So viele Einzelheiten zu erfahren kann fast schlimmer sein, als ohne Umschweife zur Folter geschafft zu werden.
    Ich sagte: »Wenn ihr es ausgehalten habt, dann halte ich es auch aus«, und versuchte mir nichts anmerken zu lassen, aber innerlich war ich furchtbar angespannt. Die ganze Nacht über zitterte ich am ganzen Leib, als stünde ich bereits unter Elektroschock.
    So verbrachte ich dort acht Tage, in denen ich Sekunde für Sekunde auf die Folter wartete. Die acht Tage kamen mir vor wie ein ganzes Leben.

 
    E   s hieß, dass die Leute von der Kontrgerilla jeden Morgen neue Listen zusammenstellten. Sie gingen die Namen der im Polizeipräsidium, in unserem Gefängnis oder in Mamak Einsitzenden durch und kontrollierten, wer noch nicht verhört worden war. Irgendwann fuhr dann in den Gefängnishof ein Militärfahrzeug, dem ein Unteroffizier entstieg: der Überbringer der neuen Liste. Aufgeregt sahen wir ihm zu, wie er die Wache betrat und kurze Zeit später, gefolgt von einer Gruppe Gefreiter, auf die Zellen zuging. Die Gefreiten hatten Handschellen und schwarze Augenbinden dabei. Für die noch nicht Verhörten war dies der Moment der Wahrheit. Die Soldaten blieben vor dem Gitter stehen und lasen ein paar Namen vor. Bei jedem Einzelnen ging ein Schauer durch die Zelle. Jedesmal, wenn man nicht den eigenen Namen hörte, durchzuckte einen Freude, aber es verblieben ja noch weitere Namen. Mit angehaltenem Atem wartete man, bis auch sie verlesen waren. War der eigene bis zum Schluss nicht dabei, durchströmte einen unbeschreibliches Glück, denn zumindest für diesen Tag war man gerettet. Dann aber packte einen das Erbarmen mit den Kameraden, die es getroffen hatte, und man begann sich furchtbar zu schämen.
    Die zum Verhör Bestimmten wurden wie Opfertiere aus der Zelle geholt. Man legte ihnen Handschellen an und verband ihnen die Augen. Kurz zuvor sahen sie einen noch ein letztes Mal hilfesuchend an. Dann schämte man sich noch mehr und fühlte sich schuldig, dass man nicht selbst geholt wurde. Man kam sich vor, als ob man selbst jene Kameraden dort hingeschickt hätte.
    Nachdem das Militärfahrzeug mit unbekanntem Ziel verschwunden war, herrschte erst einmal Stille. Niemand brachte es über sich, von den Verschleppten zu sprechen, und die angespannte Atmosphäre in der Zelle entlud sich dann oft in einem Streit darüber, wer etwa zuerst die Zeitung lesen durfte.
    Furchtbar war auch, dass beim Abzählen die Namen jener Kameraden mit vorgelesen wurden. Ganz offiziell weilten sie also immer noch unter uns, während sie doch in Wirklichkeit in den Händen irgendwelcher Folterknechte waren. Am folgenden Morgen wiederholte sich dann die Prozedur, und man durchlebte wieder das gleiche Wechselbad der Gefühle.
    Nach ein paar Tagen wurden die Kameraden jeweils zurückgebracht. Wie wandelnde Leichname schleppten sie sich in die Zelle. Sie wanden sich bei jedem Schritt, und manche konnten sich auch nicht hinlegen und stießen Schmerzensschreie aus, wenn man sie nur irgendwo berührte. Wir stellten Stühle zusammen und versuchten sie so darauf zu betten, dass die wunden Stellen verschont blieben.
    Abends passierte es dennoch oft genug, dass durch die Zelle hysterisches Lachen ging. Kameraden, bei denen die Folter eine Weile zurücklag, versuchten ihrer Lage etwas Komisches abzugewinnen und brachten damit ihre Zellengenossen und sich selbst zum Lachen. Einer namens Alp Orçun war vor kurzem am Gehirn operiert wurden, und als die Folterer sich anschickten, ihm Stromstöße zu verpassen, zeigte er die Nähte an seinem Schädel.
    »Ihr werdet lachen, was ihnen daraufhin

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