Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)
darauf bekam ich ein Konzertangebot von der Technischen Universität des Nahen Ostens in Ankara. Da ich für die Musik noch kein Orchester beisammenhatte und nicht allein mit einer Saz auftreten wollte, lehnte ich ab, ließ mich aber darauf ein, stattdessen einen Vortrag zu halten, und zwar über »regionale und universelle Dimensionen der Musik in der Türkei«.
Über Musik wurde damals bei weitem noch nicht so viel geschrieben wie heute, und die von mir angeschnittenen Themen waren ziemlich neu. Zur Veranschaulichung meiner Thesen nahm ich Kassetten mit Beispielen aus der griechischen, jugoslawischen, irischen, spanischen und amerikanischen Volksmusik mit.
Im Flugzeug nach Ankara trafen Ülker und ich die Schauspielerin Işık Yenersu, mit der wir uns dann die ganze Zeit unterhielten. Als die Maschine nach der Landung schon stillstand, gingen dennoch die Türen nicht auf, bis schließlich Polizisten hereinkamen und eine Ausweiskontrolle ankündigten. Ich wandte mich zu Işık und Ülker und sagte, die Regierung Ecevit gehe die Sache nun energisch an, und zwar zu recht. Bestimmt seien die Polizisten hinter irgendeinem Mörder her.
Als wir an der Reihe waren und ich meinen Ausweis vorzeigte, packten mich zwei Polizisten an den Armen. Işık, Ülker und ich wurden auf das Flugfeld hinuntergeführt, auf dem es vor Sicherheitskräften nur so wimmelte. Es waren Scharfschützen mit Maschinenpistolen in Stellung gebracht, und überall standen Polizeifahrzeuge. Wir waren völlig verdutzt und wurden schließlich in einen leeren Salon gebracht, in dem ein paar schnauzbärtige junge Kerle in Pullovern fortwährend in ihre Sprechfunkgeräte redeten. Als sie sich anschickten, mich fortzubringen, bekam es Ülker mit der Angst zu tun, denn die Männer sahen nicht nach Polizisten aus. Işık bat sie, sich auszuweisen, wurde aber sofort zum Schweigen gebracht. Ich wurde in einen weißen Renault verfrachtet, und das Letzte, was ich aus dem Rückfenster noch sah, war Ülkers entsetztes Gesicht.
Unterwegs sagte dann einer der jungen Männer: »Wir sind Freunde, Zülfü. Gestern war die Beschneidung von meinem Sohn, da haben wir den ganzen Abend Ihre Lieder gesungen. Heute Morgen haben wir dann erfahren, dass wir Sie abholen sollen.«
Über Sprechfunk meldeten sie sich beim Präsidium.
»Wir haben ihn und kommen jetzt zurück.«
»Und die anderen?«, fragte ihr Vorgesetzter.
»Die waren unverdächtig.«
»Habe ich nicht gesagt, ihr sollt alle bringen?«, tönte es aus dem Gerät. Als es abgeschaltet war, sagte einer der Männer vertrauensvoll: »Sehen Sie, deswegen sind lieber wir gekommen. Die hätten sonst die Frauen auch gleich mitgenommen.«
Mich schauderte. Ülker und Işık waren also gerade noch mal davongekommen. Die Zivilbeamten boten mir dann eine Zigarette an. Ich wusste wirklich nicht, was ich von der Sache halten sollte. Meinten sie es ernst, oder war alles nur ein abgekartetes Spiel? Sie machten tatsächlich einen ehrlichen Eindruck, aber man konnte ja nie wissen. Die Polizei war damals in zwei Verbände gespalten, den linken Pol-Der und den rechten Pol-Bir; die jungen Männer sagten, sie seien von Pol-Der.
Einer meinte zu mir: »Falls in Ihrem Koffer was Gefährliches ist, können wir das gleich beseitigen.« Sie glaubten wohl, ich hätte Waffen oder eine Bombe dabei.
»Was soll ich denn Gefährliches dabeihaben?«, erwiderte ich.
»Weiß man’s? Jedenfalls, wenn Sie was haben, muss es weg, bevor wir im Präsidium sind.«
»Ich habe wirklich nichts.«
Dann fragten sie mich, was ich von einer linken Organisation hielte, die immer wieder Polizisten umbrachte. Ich gab meine ehrliche Meinung dazu ab: »Ich bin gegen jede Art von Verbrechen, und das Töten von schlechtbesoldeten Polizisten, die nur ihre Familie durchbringen wollen, finde ich abscheulich.«
»So dürfen Sie nicht denken«, entgegnete einer. »In einer bestimmten Phase der Revolution müssen auch Polizisten umgebracht werden.«
Ich wusste wirklich nicht, ob das nun Ernst war oder Spott. Sie konnten mich ja unterwegs irgendwo liquidieren und auf einem Feldweg lassen.
Schließlich kamen wir im Polizeipräsidium an, und ich wurde sogleich in den siebten Stock hinaufgebracht. Da war ich also nach Europa gegangen und so viele Jahre dort geblieben, aber diesen siebten Stock war ich dadurch nicht losgeworden. In dem leeren Raum, in den sie mich sperrten, war ich entsetzlich wütend auf mich selbst, auf dieses verdammte Ankara und auf die Dummheit,
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