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Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Titel: Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livaneli
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die uns aus diesem Sumpf nicht entkommen ließ. In meinem Kopf dröhnte die Prophezeiung, die schon seit osmanischen Zeiten jede Generation aufs Neue verzweifeln lässt: »Aus diesem Land wird doch nie was.«

 
    I   rgendwann wurde ich aus dem siebten in den sechsten Stock gebracht, in einen großen Raum, in dem ein halbes Dutzend junger Männer mit dem Gesicht zu einer weißen Wand stand, von der sie sich wie auf einem scharfkonturigen Gemälde abhoben.
    Der Polizist, der gleich neben der Tür an einem Schreibtisch saß, stand hin und wieder auf und versetzte einem der Männer einen Stockschlag oder einen Fußtritt. Die Geschlagenen durften sich anscheinend nicht bewegen, denn wimmernd nahmen sie die Schläge hin, ohne sich umzudrehen. Am anderen Ende des Raumes drangen aus einer vergitterten Einbuchtung Schreie heraus, die schon fast nicht mehr menschlich klangen. Man gab mir einen Stuhl, und ich setzte mich.
    Regionale und universelle Dimensionen der Musik in der Türkei, dachte ich sarkastisch. Jetzt siehst du mal, was es heißt, in diesem Land einen Vortrag zu halten.
    Der Polizist am Eingang, der mich böse musterte, rief nach einer Weile seine Kollegen aus dem siebten Stock an, die mich verhaftet hatten. Als sie kamen, sagte er: »Bringt den wieder weg da! Der sieht mich so komisch an, da kann ich gar nicht richtig zuschlagen.«
    Die jungen Polizisten brachten mich wieder hoch, diesmal ins Büro des Amtsleiters, der gleich kommen werde. Ich fragte, ob ich telefonieren dürfe, und sie ließen es ohne weiteres zu. Obwohl ihr Auftrag schon beendet war, blieben sie noch im Präsidium, um mich vor ihren Kollegen von Pol-Bir zu beschützen.
    Wer schon einmal in Untersuchungshaft war, der weiß, wie wichtig in so einem Fall die Kommunikation mit der Außenwelt ist. Leute sitzen Tage und Monate ein, ohne dass ihre Familie ein Lebenszeichen erhält. So nahm ich jenes Privileg dankbar in Anspruch und rief meinen Vater, der wegen seines Sohnes ja immer wieder Probleme hatte, im Kassationshof an. Er wusste durch Ülker schon Bescheid und sagte, ich solle mir keine Sorgen machen, denn innerhalb von ein bis zwei Stunden werde ich frei sein. Ülker und Işık hatten bereits einen Freund von uns angerufen, den einflussreichen Journalisten Uğur Mumcu, der wiederum bei Ministerpräsident Bülent Ecevit und Innenminister Hasan Fehmi Güneş interveniert hatte. Das Räderwerk, das zu meiner Freilassung führen sollte, lief also bereits.
    Als der Amtsleiter kam, bot er mir als Erstes Kaffee und eine Zigarette an und beteuerte, er habe große Achtung vor mir. Seinen Kindern, die ständig meine Musik hörten, wolle er eine Überraschung bereiten und Platten von mir signieren lassen. Schon schickte er auch einen Polizisten zu sich nach Hause, um eine holen zu lassen.
    Gegen Abend brachte man mich zu meinem Vater nach Hause. Das war also noch einmal gutgegangen, aber warum man mich überhaupt verhaftet hatte, wurde erst am Abend darauf klar. Die Sache mit meinem Vortrag an der Universität war nämlich aus dem Ruder gelaufen. Zu einem Fachvortrag, wie er von mir angekündigt war, hatte ich ein Publikum von vielleicht 25 Leuten erwartet, doch die Studenten waren nicht an meinem Thema interessiert, sondern an mir. Da bereits wieder der Ausnahmezustand verhängt worden war, wollten Universitätsleitung und Militärbehörden den Vortrag verhindern, um es erst gar nicht zu einer größeren Menschenansammlung kommen zu lassen. Sie dachten sich, wenn ich zwei Nächte eingesperrt sei, würde das Vortragsdatum sang- und klanglos verstreichen. Als die Regierung Ecevit diesen Plan durchkreuzt hatte, verfiel man darauf, an jenem Abend alle Busse zu streichen, die zum Universitätsgelände hinausfuhren.
    Als ich an der Universität anlangte, wurde ich von Studenten empfangen und in die Sporthalle geleitet, wo an die 4.000 Zuhörer sogleich schreiend aufsprangen. Dies war kein Vortrag mehr, sondern eine Demonstration. Die Studenten hatten aus der Zeitung von meiner Verhaftung erfahren und wollten ihrem Unmut darüber Ausdruck verschaffen.
    Nun hatte ich aber tatsächlich nur einen sehr fachspezifischen Vortrag parat und musste mir die größte Mühe geben, um die Studenten einigermaßen zu beruhigen. Sie skandierten fortwährend Slogans und wollten, dass ich singe. Ein typisches Beispiel dafür, wie es in der Türkei zuging. Zwischen den beiden Lagern hatte sich eine unheimliche Spannung aufgebaut oder war vielmehr künstlich aufgebaut worden,

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