Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)
böse, bis wir uns dann bei der Beerdigung von Timurs Vater spontan umarmten und versöhnten.
I n den Jahren 1977 bis 1980 drangen aus allen Ecken des Landes ständig Schreckensmeldungen. Die beiden großen politischen Konkurrenten, der sozialdemokratische Bülent Ecevit und der konservative Süleyman Demirel, wechselten sich mehrfach an der Regierung ab, wobei Demirel jeweils mit islamistischen und rechtsextremen Parteien koalierte, so dass die nationalistischen Kräfte in ihrer Auseinandersetzung mit der Linken auf staatliche Rückendeckung bauen durften. Als er 1980 nach einem an Aleviten begangenen Massaker in Çorum Demirel von Journalisten hartnäckig befragt wurde, äußerte er den denkwürdigen Satz: »Sie werden nie von mir zu hören bekommen, dass Nationalisten Verbrechen begehen.«
Bereits 1978 war es in Kahramanmaraş zu einem noch größeren Massaker gekommen, bei dem Hunderte von Aleviten ermordet worden waren. Ich weiß noch, wie 1979 an einem dunklen Februarabend das Telefon schrillte und wir erfuhren, der bekannte Journalist Abdi İpekçi sei umgebracht worden. Ich erstarrte und weinte dann los. İpekçis Mörder war der Nationalist und spätere Papst-Attentäter Mehmet Ali Ağca, und als ich bei der Totenfeier in der Teşvikiye-Moschee Süleyman Demirel mit maskenhaften Zügen vor İpekçis Sarg stehen sah, war mir so, als dachte er darüber nach, wie er die Nationalisten von dem Verbrechen wohl entlasten könnte.
Die Gewalt schaukelte sich so sehr auf, dass sich in den Köpfen der Menschen allmählich der eine Gedanke festsetzte: »Irgendjemand muss der Sache ein Ende bereiten, egal wer.« Einem neuerlichen Putsch war somit der Boden bereitet.
Ich war damals oft im Ausland zu Konzerten, am häufigsten in Deutschland. Dabei lernte ich einmal Leute von Ariola kennen und traf mich kurz danach beim Sitz der Firma in München mit Wolfgang Eisele, der für meine Musik in Deutschland gute Perspektiven sah. Schon bald schlossen wir einen Vertrag über drei Platten ab, und ich nahm in einem Studio in Paris die erste davon auf, in deren Stücken es darum ging, wie bei uns in der Türkei das Leben allmählich zerfaserte.
Während der Aufnahmen kümmerten sich zwei in Paris wohnende Freunde, Tüylay German und Erdem Buri, sehr um mich und machten mich unter anderem mit dem berühmten Kontrabassisten François Rabbath bekannt, den ich dann für eine Mitarbeit an der Platte gewinnen konnte. François Rabbath, ein weißhaariger und weißbärtiger Mann von heiligenhafter Erscheinung, spielte an der Pariser Oper und gab daneben auch Solokonzerte; so hatte er etwa in Madrid einmal vor 50.000 Menschen gespielt. Abends gingen wir manchmal in seine Wohnung in Pigalle und musizierten zusammen. Einmal war auch der spanische Liedermacher Paco Ibáñez dabei. Begleitet von François sangen wir katalanische und anatolische Lieder. Als Tülay, Paco und ich zusammen sangen und sich dazu die Töne von Gitarre, Saz und Kontrabass mischten, entstanden so besondere Harmonien, dass es mich heute noch reut, davon keine Aufnahme gemacht zu haben. Ganz aufgekratzt ging Paco dann in die Küche und bereitete uns scharfes spanisches Essen zu; danach ging es weiter mit der Musik. Weit nach Mitternacht klingelte es an der Tür, und ein Polizist erklärte, die Nachbarn hätten sich wegen nächtlicher Ruhestörung beschwert. Als er aber sah, dass wir nur eifrige Musiker waren, entschuldigte er sich, hörte uns noch ein bisschen zu und ging dann still. Es war eben ein französischer Polizist.
Neben François Rabbath wirkte noch eine ganze Reihe anderer sehr guter Musiker an der Platte mit, die in der Türkei ein großer Erfolg wurde. Das Schlusslied davon gefiel besonders dem Journalisten Uğur Mumcu, der mir bei meiner letzten Verhaftung aus der Patsche geholfen hatte. Er murmelte es oft vor sich hin. 1993 wurde auch er ermordet. Zu seinem Begräbnis sangen Zehntausende von Menschen jenes Lied.
Ariola brachte die drei vereinbarten Platten unter den Namen Nâzıms Lied , Das Lied des Reiters und Unsere Tage, die verfließen für den europäischen Markt heraus. Der Vertrag mit Ariola beinhaltete auch eine Promotion-Tour, zu der ich in diverse Großstädte geschickt wurde, wo dann jeweils im Foyer eines großen Hotels eine Pressekonferenz stattfand.
Zum ersten Mal wurde mir bewusst, was es bedeutete, mit einer großen europäischen Firma zusammenzuarbeiten. Ohne diesen ganzen Aufwand war es in Europa schwer, auf sich aufmerksam
Weitere Kostenlose Bücher