Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Titel: Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livaneli
Vom Netzwerk:
Unabhängigkeit, und die Stadt war dafür bekannt, die Erinnerung an damals fast fanatisch zu bewahren.
    Während sich abends das Stadion füllte, warteten wir in dem hinter der Bühne geparkten Bus. Maria sagte: »Es wird schon gehen. Ich habe Vertrauen ins Volk«, aber ganz gelöst schien sie doch nicht zu sein. »Wenn wir diese alte Feindschaft aufbrechen wollen, müssen wir uns eben etwas trauen.«
    Ich gab ihr Recht. Das Konzert begann, und ich spürte die Anspannung in der Menge. Unter den auf die Bühne gerichteten Scheinwerfern sah ich Tausende von Insekten herumschwirren. Die Hitze klebte uns auf der Haut wie ein nasses Hemd. Maria sang wie immer als Erstes »March of the Spirit« von Theodorakis, und als sie dann rief: »Und jetzt kommt unser Gast, der türkische Komponist …«, brach Jubel aus. Ich betrat die Bühne und wurde minutenlang beklatscht. Maria in ihrem roten Kleid stand mit glänzenden Augen da.
    Schon beim ersten Lied klatschten die Leute mit. Ich sah sie nicht, sondern nahm nur eine schwarze Masse wahr, deren Aufmerksamkeit mir wie das Atmen eines Riesen erschien. Mir war, als hätte ich nicht die Einwohner von Messolongi vor mir, sondern all die Türken und Griechen, die man einst durch ein internationales Intrigenspiel zu Feinden gemacht, aufeinandergehetzt und in den Tod getrieben hatte.
    Nach dem Konzert sagte Manthos zu mir: »Seit dem Krieg bist du der erste Türke hier.«

 
    U   nsere Tournee wurde unterbrochen, als Maria und Mikis einer Einladung Fidel Castros folgten und zehn Tage auf Kuba konzertierten. Wir blieben inzwischen in Marias Haus.
    Am 4. August stieg uns gegen Mittag Brandgeruch in die Nase. Ich ging in den Garten hinaus, und da sah ich auch schon unweit von uns Flammen hochschlagen. Mit einem Schlauch spritzten wir im Garten und rund um das Haus alles nass, aber als das Feuer auf den Garten übergriff, rief der im Obergeschoss wohnende Angelo: »Hauen wir ab!«
    Wir rafften unser Geld und die Pässe zusammen und liefen zum Auto. Auch Marias Hunde durften wir nicht vergessen: Surabaya, Doggie, Mando, Vubale. Die Tiere waren ganz verrückt vor Angst. Die Polizei rief mittlerweile zur Evakuierung des Viertels auf.
    Der Nachbar sprang in sein Auto und fuhr mit quietschenden Reifen los. Den einen seiner Hunde hatte er dabei, der andere aber, ein Dobermann, der sonst immer eingesperrt war, musste dem Auto hinterherrennen. Mitten auf der Straße stand eine schwarz gekleidete alte Frau, sichtlich verwirrt. Angelo, Helen, Ülker, Aylin und ich drängten uns zusammen mit den Hunden ins Auto. Ich hatte einen riesigen weißen Labrador auf dem Schoß, der vor lauter Panik zu beißen begann.
    Als wir losfuhren, zerrten wir auch noch die alte Frau ins Auto, die sich sonst nicht zu helfen wusste. Marias Citroën mussten wir stehen lassen, da wir den Schlüssel dazu nicht fanden.
    Außerhalb der Gefahrenzone setzten wir die alte Frau ab und fuhren selbst ungefähr 25 Kilometer weiter, bis ins Zentrum von Athen. Der Himmel war von schwarzen Rauchschwaden bedeckt, Asche lag in der Luft.
    Angelo sagte: »Tja, so ist das Leben!« Er war der Architekt von Marias Haus, in dem er seit der Fertigstellung mit seiner amerikanischen Frau Helen auch lebte. Nachdem er Jahre darauf verwandt hatte, das schönste Haus von Athen zu bauen, schien es ihm paradoxerweise kaum etwas auszumachen, dass keine fünf, sechs Monate später alles zunichte wurde.
    Drei Stunden später fuhren wir in das Brandgebiet zurück, um die Lage zu erkunden. Die Zufahrtsstraßen waren gesperrt, aber wir kamen über Schleichwege bis zum Haus durch.
    Die Bäume, der Rasen, alles, was am Morgen noch grün gewesen war, war völlig verkohlt. Von Marias blauem Citroën war nur noch ein Blechskelett übrig. Das Haus selbst stand noch, aber die Scheiben waren geborsten, die Jalousien in der Hitze geschrumpft, von überall tropfte Löschwasser herab, und es roch stark nach Brand und Ruß.
    In jener Nacht sahen wir von einer Wohnung im Zentrum aus, wie das Feuer in einigen Außenbezirken noch immer wütete. Die meisten Griechen waren von einer mystischen Furcht erfasst, als hätten ihnen die Götter aus ihrer Mythologie gezürnt. Dass der Brand an mehreren Stellen gleichzeitig ausgebrochen war, war wohl kaum ein Zufall. Auch das Datum mochte bedeutsam sein: der 4. August, also der Tag, an dem sich einst Metaxas zum Diktator aufgeschwungen hatte. Wie sich später herausstellte, war die Brandstiftung das Werk von Anhängern der seit

Weitere Kostenlose Bücher