Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)
geborenen Schriftsteller Nikos Kazantzakis, dem Verfasser von Alexis Sorbas , und schon bevor ich die Insel zum ersten Mal betrat, glaubte ich, die Klöster dort sehen zu können, die schwarzgekleideten Männer mit ihren spitzen Schnurrbärten, die in der Hitze von tausenderlei Insekten durchtönten Wälder, das blaue Meer. An Kazantzakis faszinierte mich am meisten die unbedingte Liebe zu seiner Heimat. Daher erwähnte ich auch 1980 bei einer Pressekonferenz vor etwa 40 griechischen Journalisten, dass ich in der Türkei einst Bücher von ihm herausgebracht hatte. Die Reaktion darauf war mehr als verhalten, und als ich, um der Sache auf den Grund zu gehen, später andere Leute befragte, spürte ich wieder die gleiche Zurückhaltung. Erst einige Zeit danach erfuhr ich warum.
Kazantzakis war ein Mann von Ehre, der sich gegen alles, aber auch wirklich alles wandte, was er als falsch empfand. Wie Fellini sagte, ließ er niemanden an seiner Stelle denken. Deshalb war er weder bei der Regierung beliebt noch bei der Opposition und auch bei keinerlei Organisation. In einer stark am Lagerdenken orientierten Gesellschaft stand er mutterseelenallein da.
Nicht nur ihm ging es so, sondern einer ganzen Reihe von Intellektuellen des 20. Jahrhunderts. Manche davon brachten sich um, andere starben wie Kazantzakis im freiwilligen Exil. Oft wurden sie als Verräter und Opportunisten geschmäht, mal von der einen, mal von der anderen Seite.
Unsere Konzerte in Agios Nikolaos, Anogia und Chania begleitete ein Fernsehteam vom ZDF , das mit Maria und mir Interviews führte. In Anogia, einem Bergort im Psoloritis-Massiv, interviewte das Team während des Konzerts im Xilouris-Theater einen rüstigen, in kretischer Tracht erschienenen Einundachtzigährigen mit schlohweißen Haaren und Bart.
»Warum sind Sie heute gekommen?«
»Wegen dem Turco.«
»Mögen Sie die Türken?«
»Nein, ich habe gegen sie gekämpft. Wir haben gegenseitig unsere Familien umgebracht.«
»Warum sind Sie dann doch gekommen?«
»Aus zwei Gründen. Erstens singen die Türken schöne Lieder. Und zweitens …«
Hier zögerte der Mann und fragte dann den Journalisten: »Sind Sie Deutscher?«
»Ja.«
»Dann verstehen Sie das nicht.«
Der alte Mann kam nach dem Konzert ganz aufgeregt hinter die Bühne. Sein Gesicht hatte etwas Raubvogelartiges an sich. In abgehackter Manier fragte er mich etwas, und ich ließ es mir übersetzen. »Heißt du auch Mustafa?«, lautete seine Frage, und er meinte damit: so wie Atatürk.
Während uns danach Lamm vom Spieß kredenzt wurde, ging mir ein Gedanke nicht aus dem Kopf. Die Orte, in denen wir bis dahin Konzerte gegeben hatten, waren teilweise in Gegenden gewesen, die jahrhundertelang unter türkischer Herrschaft gestanden hatten, und zum anderen Teil auf Inseln, auf die die Türken nie gekommen waren wie etwa Korfu oder Kythira. Dort hätte unser Publikum eigentlich herzlicher reagieren müssen als anderswo. Genau das Gegenteil war der Fall. An solchen Orten wurde meinen Liedern eher mit der freundlichen Anteilnahme gelauscht, wie sie bei europäischen Zuhörern üblich ist. Wo hingegen mit den Türken eine gemeinsame Vergangenheit bestand, gingen die Menschen in nostalgischem Eifer so richtig aus sich heraus. Eine denkbar schlechte Beziehung schien sich also immer noch besser auszuwirken als völlige Beziehungslosigkeit.
Aus längerer geschichtlicher Perspektive betrachtet teilen die südöstlichen Länder das gleiche Schicksal. Ihre Zivilisationen wurden zu einer Zeit gegründet, in der die Beziehungen der Menschen untereinander noch von höchster Bedeutung waren. Im Industriezeitalter, das rationale Arbeitsbeziehungen erforderte, büßten sie ihre Vorherrschaft zugunsten der protestantisch geprägten nördlichen Länder ein. Und heute bewundern sie zwar die technologische Überlegenheit und die effizienten gesellschaftlichen Organisationsformen des Nordens, führen indessen im menschlichen Bereich ihre alten, auf Freundschaft und Tischgeselligkeit gründenden Traditionen fort.
Am 1. Juli 1981, auf der Fahrt zu unserem Konzert in Messolongi, waren Maria, unser Manager Manthos und die Orchestermusiker nervöser als sonst, und als wir in der Stadt eintrafen, begriff ich auch, warum.
Ich ging vom Hotel Liberty aus ein wenig spazieren und kam schon bald in einen Park voller Statuen von Griechen, die im Kampf gegen die Türken gefallen waren. In Messolongi war Lord Byron gestorben, der Streiter für die griechische
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