Roman mit Kokain (German Edition)
– wie schwer hatte ich es doch! – , obwohl ich mich ja so famos, so vergnügt fühlte, und tat so, als wollte ich weiterschlafen; dabei wusste ich nur zu gut, dass in solch einem Zustand der freudigen Unruhe an Schlaf nicht im Entferntesten zu denken war, ja nicht einmal ans Liegenbleiben. In der Küche wurde der Wasserhahn aufgedreht, Wasser strömte mit einem trockenen Prasseln aus der Leitung; das Geräusch wurde klingender, der Ton immer höher, als ein Topf untergestellt wurde. Es lag etwas so Aufwühlendes in diesen Geräuschen, dass ich im Bedürfnis, meinen überschüssigen freudigen Gefühlen Raum zu verschaffen, aufstand – womit ich die im Herzen eingenähte Nadel in Bewegung setzte und am Hinterkopf einen giftigen, stumpfen Schmerz vergoss – und so laut ich konnte nach der Njanja rief. Das Wasserrauschen hörte sofort auf, es folgte aber keinerlei Pantoffelgeschlurfe, weshalb die Njanja, als würde sie fliegen, plötzlich lautlos zur Tür hereinkam. Ich brauchte jedoch nicht einmal hinzusehen, um mit absoluter Sicherheit zu wissen, was der Grund für die Geräuschlosigkeit ihrer Schritte war. «Was ist los, Waditschka » , sagte sie, «was schreist du so in aller Herrgottsfrühe? Du weckst mir noch die gnäd’ge Frau auf .» Ihr sechzigjähriges, winzig kleines Gesichtchen von der Farbe eines Herbstblattes blickte düster und besorgt. «Was läufst du dumme Gans jetzt im Sommer in Filzstiefeln herum ?», fragte ich sie und horchte, ohne den Kopf zu heben, darauf, wie zwischen Nacken und Kopfkissen der dumpfe Schmerz bebte und abklang. «Die Beine tun mir sehr weh, Waditschka » , sagte sie entschuldigend, und dann fügte sie sogleich geschäftig hinzu: «Hast du mich nur deshalb gerufen ?» Sie schüttelte vorwurfsvoll den Kopf, hielt sich die Hand vor den Mund und sah mich mit lachenden, liebenden Augen an. «Ja, ja » , sagte ich, wobei ich versuchte, sie mit schläfrig-ruhiger Stimme zu täuschen, «nur deshalb !» – im gleichen Moment jedoch sprang ich wie ein Verrückter aus dem Bett, geduckt wie ein Mörder vor dem Sprung, die Arme zurückgeworfen, als hielte ich Dolche in den Händen, und schrie wüst, mit den nackten Füßen aufstampfend, so als wollte ich dem bereits voller Angst weglaufenden Kindermädchen hinterher: «Hau ab, los! Ich krieg dich, ab, los, verzieh dich !»
Damit war aber die Vorstellung, die ich an diesem Morgen vor den imaginierten blauen Augen der Sonja Minz zum Besten gab, noch lange nicht zu Ende. Alles, was ich an diesem Morgen tat, tat ich nicht wie gewöhnlich, sondern so, als würde diese Sonja mir tatsächlich unablässig zusehen und alles mit Entzücken beobachten (ihr Entzücken führte ich eben auf die Veränderung zurück, auf das, was mein heutiges Verhalten vom gewöhnlichen unterschied). Als ich beispielsweise ein sauberes Hemd, das zugleich mein einziges Seidenhemd war, aus dem Schrank gezogen und besehen hatte, warf ich es allein deshalb auf den Boden, weil an der Schulter eine Naht ein klein wenig aufgegangen war, und trat danach lange darauf herum, ganz so, als hätte ich ein volles Dutzend davon. Als ich mich beim Rasieren schnitt, schabte ich immer weiter über die Schnittstelle, ganz so, als täte es mir gar nicht weh. Als ich die Wäsche wechselte und die alte abgestreift hatte, streckte ich bis zum Äußersten die Brust nach vorn und zog den Bauch ein, ganz so, als hätte ich tatsächlich eine derart ausgezeichnete Figur. Als ich einen kleinen Schluck vom Kaffee genommen hatte, stellte ich ihn in verzogen-launischer Manier beiseite, obwohl er gut schmeckte und ich ihn trinken wollte. Ohne es zu wollen, kam ich an diesem Morgen auch zum ersten Mal zu der erstaunlichen, unerschütterlichen Überzeugung, ich könnte als der, der ich in Wirklichkeit war, niemals dem von mir geliebten Menschen gefallen oder von ihm geliebt werden.
Als ich das Haus verließ, nicht ohne vorsorglich in der Hosentasche nach Jags Hundertrubelschein zu tasten, war es etwa elf Uhr. Die Sonne schien nicht, der tief hängende Himmel war porös-weiß, aber es war unmöglich, nach oben zu sehen – sofort trieb es einem die Tränen in die Augen. Es war stickig und schwül. Meine Unruhe wurde immer stärker. Sie ergriff gänzlich von mir Besitz und war sogar schon schmerzlich im oberen Teil des Magens zu spüren, der sich anfühlte, als hätte ich ihn mir verdorben. Auf dem Weg ins Blumengeschäft kam ich an einem teuren, schicken Hotel vorbei und beschloss aus irgendeinem
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