Roman mit Kokain (German Edition)
Taille, wobei ich nicht einmal das Gesicht dieser Frau gesehen haben musste, um sie – ginge alles nach meinem Wunsch – schon ohne große Worte ins Bett, auf eine Bank oder zur Not auch in irgendeinen Torbogen zu zerren. Und es bestand kein Zweifel, dass ich genauso vorgegangen wäre, wenn die Frauen dergleichen zugelassen hätten. Nun war es aber gerade die Spaltung meines geistigen und sinnlichen Ichs – die es mir erlauben würde, ein solches Verlangen ohne moralische Bedenken in die Tat umzusetzen – , gerade diese Spaltung war es ja, der ich es in erster Linie zu verdanken hatte, dass meine Kameraden mich als ganzen Kerl und Draufgänger respektiert hatten. Wären dagegen Geistiges und Sinnliches in mir zu einem verschmolzen, dann hätte ich mich schlechterdings in jede Frau, die auf mich einen sinnlichen Reiz ausübte, tödlich verliebt; meine Kameraden hätten sich ohne Unterlass über mich lustig gemacht und mich «weibisch » oder «Mädchen » geschimpft oder mit anderen Namen bedacht, bei denen aber auf jeden Fall ihre Jungenverachtung gegenüber der von mir an den Tag gelegten Weiblichkeit deutlich zum Ausdruck gekommen wäre. Das bedeutete, dass bei mir, dem Mann, die Spaltung von Geistigkeit und Sinnlichkeit von den Menschen um mich herum als Zeichen von Männlichkeit , von Mannesmut aufgefasst wurde.
Aber was wäre, wenn ich, mitsamt meiner ganzen Spaltung von Geistigkeit und Sinnlichkeit, kein Gymnasiast gewesen wäre, sondern eine Gymnasiast in , ein Mädchen? Wenn ich als Mädchen ganz genauso – sei es im Café, in der Straßenbahn, im Theater, auf der Straße, kurzum einfach überall – , beim Anblick eines Mannes, dessen Gesicht ich vielleicht gar nicht richtig gesehen hätte, weil mich allein seine muskulöse Taille in heftige Erregung versetzte, auf der Stelle (wobei es mir die Spaltung meines geistigen und sinnlichen Ichs erlauben würde, mein Verlangen ohne Bedenken in die Tat umzusetzen) frisch-fröhlich und ohne ein Wort zu verlieren es herausfordern und zulassen würde, dass man mich ins Bett, auf eine Bank oder zur Not auch in irgendeinen Torbogen zerrte – welchen Eindruck würde dies wohl bei meinen Freundinnen hervorrufen, bei den Menschen um mich herum und gar bei den Männern, mit denen ich zu tun hätte? Würden sie mein Verhalten als Beweis von Verwegenheit, Mannesmut und Männlichkeit auslegen und auffassen? Ein lächerlicher Gedanke! Ganz ohne Zweifel würde ich auf der Stelle und schlechterdings von allen öffentlich als Hure gebrandmarkt, und zwar nicht einmal im Sinne einer Prostituierten, die Opfer ihres Milieus oder finanzieller Probleme geworden ist (so eine ließe sich ja noch rechtfertigen), sondern als Hure, die ihre inneren Eingebungen offen an den Tag legt; kurzum als eine, für die es keinerlei Rechtfertigung mehr gibt oder geben kann. Das bedeutete, es war auch richtig und nur gerecht zu sagen, dass die Spaltung von Geistigkeit und Sinnlichkeit beim Mann Zeichen seiner Männlichkeit war, während die Spaltung von Geistigkeit und Sinnlichkeit bei der Frau Zeichen ihrer Hurenhaftigkeit war. Das bedeutete weiterhin, dass alle Frauen nur einträchtig den Weg der Vermännlichung einzuschlagen bräuchten, und die Welt, die ganze Welt, würde sich in ein Freudenhaus verwandeln.
7
Für einen verliebten Mann sind alle Frauen einfach nur Frauen, mit Ausnahme der einen, in die er verliebt ist – sie ist für ihn ein Mensch . Für eine verliebte Frau sind alle Männer einfach nur Menschen, mit Ausnahme des einen, in den sie verliebt ist – er ist für sie ein Mann . So sah sie aus, die traurige Wahrheit, von der ich mich immer mehr überzeugte, je länger meine Beziehung zu Sonja andauerte.
Weder an diesem Tag noch bei unseren späteren Treffen aber erzählte ich Sonja von meinen Überlegungen.
Während ich bei den Leuten, denen ich vor meiner Bekanntschaft mit Sonja begegnet war, meine wahren Empfindungen nicht offen darlegen konnte, da ich damit den Anstrich von Mannesmut zerstört hätte, mit dem ich mich vor diesen Leuten um jeden Preis schmücken wollte, so konnte ich bei Sonja nicht aufrichtig sein, um das Bild vom verträumten Jungen, den sie in mir sehen wollte, nicht zu beschädigen.
Meinen Kameraden, vor denen ich unbedingt als ganzer Kerl dastehen wollte, die volle Wahrheit über meine Gefühle zu erzählen war unmöglich. Ich wusste, dass Mannesmut nur als solcher aufgefasst wird, wenn er einer oberflächlich-fröhlichen Lebenseinstellung entspringt.
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