Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Roman mit Kokain (German Edition)

Roman mit Kokain (German Edition)

Titel: Roman mit Kokain (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. Agejew
Vom Netzwerk:
Sollte ich bei meinen Empfindungen nur ein wenig mehr Einfühlungsvermögen und Tiefe an den Tag legen, bekäme daher alles, was ich tat und womit ich mich brüstete, sogleich etwas Abstoßend-Brutales und wäre durch nichts zu rechtfertigen.
    Sonja war der erste Mensch, bei dem ich mir nicht mehr die Mühe geben musste, dieses widerwärtige, fröhlich-muntere Spiel zu betreiben. Für sie war ich einfach der verträumte, zärtliche Junge. Ebendieser Umstand, der auf den ersten Blick eine Offenheit begünstigen sollte, führte jedoch dazu, dass ich, wenn ich dazu ansetzte, Sonja von meinem Leben zu erzählen, sogleich erschrocken innehielt. Immer wenn ich aufrichtig zu Sonja sein wollte, spürte ich sogleich, dass ich kein Recht dazu hatte; ich konnte, ich durfte nicht offen zu ihr sein. Auf der einen Seite konnte ich Sonja gegenüber nicht offen sein, weil ich, der verträumte Junge, ihr doch unmöglich von Sinotschka erzählen konnte, die ich angesteckt hatte; oder von der Beziehung zu meiner Mutter, die ich fortgejagt hatte aus Angst, dass Sonja sie sehen könnte; oder schließlich davon, dass das Geld, von dem ich die Droschken bezahlte, und das Eis, das Sonja aß, meiner alten Njanja gehörte. Auf der anderen Seite konnte ich Sonja gegenüber nicht offen sein, da auch jeglicher Versuch, ihr stattdessen etwas von mir zu erzählen, was mich ausschließlich von meiner edlen, von meiner noblen Seite präsentiert hätte, einfach nicht klappen wollte: Erstens gab es gar keine guten Taten in meinem Leben; zweitens (gesetzt den Fall, ich hätte mir diese guten Taten einfach ausgedacht) hätte es mir entschieden kein Vergnügen bereitet, von ihnen zu erzählen; und was am wichtigsten war: Derartige Anekdoten von meinen Großtaten (äußerst merkwürdig, aber ich empfand es so) hätten rein gar nichts zu einer geistigen Annäherung an Sonja beigetragen, und diese wäre für mich ja der eigentliche Anlass zur Offenheit gewesen. All dies quälte mich weniger aus dem Grund, dass ich dadurch gewissermaßen verdammt war zur seelischen Einsamkeit, denn an diese hatte ich mich zu sehr gewöhnt, um unter ihr zu leiden; vielmehr quälte mich der außerordentliche Mangel an Gesprächsstoff, der zu unserer Annäherung und zu einer Intensivierung der Gefühle hätte beitragen können. Ich begriff, dass Verliebtsein ein Gefühl ist, das stetig wachsen, stetig in Bewegung sein muss, und dass es, wenn es sich regen soll, immer wieder angestoßen werden muss, ganz wie der Holzreifen für Kinder, der, wenn er an Antrieb verliert und zum Stehen kommt, sofort umfällt. Ich begriff, dass jene Liebenden sich glücklich schätzen können, die aufgrund unglücklicher Umstände oder ihnen feindlich gesinnter Menschen nicht die Möglichkeit haben, sich oft und lange zu sehen. Ich beneidete sie, denn ich begriff, dass ihre Verliebtheit an den Hindernissen, die zwischen ihnen stehen, wächst. Bei unseren täglichen Treffen, während derer ich viele Stunden ununterbrochen mit Sonja zusammen war, bemühte ich mich, so gut ich es konnte, sie zu unterhalten, aber die Worte, die ich ihr sagte, förderten die Intensivierung unserer Gefühle oder die seelische Annäherung zwischen uns in keiner Weise: Meine Worte füllten die Zeit, nutzten sie aber nicht. So kam es zu leeren, unausgefüllten Momenten, die besonders schwer auf uns lasteten, wenn wir uns auf eine Bank setzten und ganz alleine waren; und da ich unwillkürlich von der Angst getrieben war, Sonja könnte bemerken oder spüren, wie ich Blut und Wasser schwitzte, füllte ich diese immer öfter vorkommenden Leerstellen aus fehlenden Worten mit Küssen. Auf diese Weise traten Küsse an die Stelle der Worte und übernahmen die Rolle, uns einander anzunähern; und genau wie Worte wurden sie immer offener, je näher wir uns kamen. Wenn ich Sonja küsste, empfand ich allein bei dem Gedanken, dass sie mich liebte, eine so zärtliche Verehrung, eine so tiefe seelische Rührung, dass ich keine Sinnlichkeit empfinden konnte. Ich empfand keine Sinnlichkeit, weil ich es irgendwie nicht fertigbrachte, mit der ihr eigenen animalischen Brutalität all das Zärtliche, Mitfühlende und Menschliche meiner Gefühle zu zerstören. Unwillkürlich verglich ich meine früheren Affären und die Frauen von den Boulevards mit meiner jetzigen Beziehung zu Sonja: Während ich früher nur Sinnlichkeit empfunden, der Frau zuliebe aber Verliebtheit vorgespielt hatte, empfand ich jetzt nur Verliebtheit, spielte Sonja zuliebe

Weitere Kostenlose Bücher