Roman mit Kokain (German Edition)
der Punkt zu sein, um den alles kreist, und selbst zu kreisen beginnt. Mein Mann kann ganz und gar nicht verstehen, dass es von diesen Angelpunkten, um die sich die Welt, die von ihnen wahr- und aufgenommen wird, dreht, exakt so viele auf der Welt gibt, wie Lebewesen die Erde bevölkern. Mein Mann erkennt und versteht das menschliche Ich als Zentrum, als Bauchnabel der Welt, aber er hält die Anwesenheit eines solchen Ich nur bei sich selbst für möglich. Alle anderen haben für ihn kein solches Ich und können es nicht haben. Alle anderen sind für ihn «du » , «er » oder einfach «sie » . So hält mein Mann sein Ich für in höchstem Grade menschlich und bemerkt dabei nicht im Geringsten, dass es rein tierischer Natur ist; dass ein solches Ich vielleicht die Riesenschlange haben kann, die ein Kaninchen verschlingt, oder das Kaninchen, das von der Riesenschlange verschlungen wird. Mein Mann versteht nicht, dass der Unterschied zwischen dem tierischen und dem menschlichen Ich darin besteht, dass ein Tier, wenn es ein fremdes Ich anerkennt , damit eine Niederlage einsteckt, die aus seiner körperlichen Schwäche und also seiner Nichtigkeit resultiert, während ein Mensch, wenn er ein fremdes Ich anerkennt, damit einen Sieg feiert, der auf seiner geistigen Kraft und also seiner Größe basiert. So ist mein Mann, und es ist wirklich schade, dass es so gekommen ist, dass ich bei ihm bleibe. Der Schlag, der seiner Dummheit versetzt worden wäre, hätte er von meinem Ehebruch erfahren, davon, dass ein anderer ihm vorgezogen wurde, hätte ihm nicht geschadet.
Du wirst Dich natürlich an den Moment erinnern, als wir bei der Besichtigung unserer Wohnung schließlich an unserer Schlafzimmertür anlangten. Du wirst Dich auch noch erinnern, dass ich mich widersetzt habe und um keinen Preis die Tür öffnen wollte, und dass mein Mann, der dies nicht verstand und wütend wurde, doch die Tür öffnete, mich hineinschob und, Dir den Vortritt lassend, sagte: «Gehen Sie rein, gehen Sie rein, das ist unser Schlafzimmer; Sie sehen, hier ist alles aus Mahagoni .» Du hast einen Blick ins Zimmer geworfen, hast auf das ungemachte, um neun Uhr abends schrecklich zerwühlte Bett gesehen – und verstanden.
Ich weiß: In diesem Moment, als Du bei uns im Schlafzimmer standest, fühltest Du sowohl Eifersucht als auch Schmerz und das bittere Gefühl der gekränkten, geschmähten Liebe. Ich wusste auch damals schon, dass Du all dies empfindest. Und erst später erfuhr ich, dass diese Kränkung Deiner Liebe zugleich die Geburtsstunde Deiner Sinnlichkeit war. Wie schade, dass ich das erst zu spät verstanden habe.
Du weißt, was danach kam. Ich traf mich weiter hinter dem Rücken meines Mannes mit Dir, aber es war nicht mehr wie bei unseren früheren Treffen. Du hast mich jedes Mal in irgendeine Absteige geführt, mir und Dir die Kleider vom Leib gerissen und mich genommen, mit jedem Mal brutaler, schonungsloser und zynischer. Du darfst es mir nicht zum Vorwurf machen, dass ich dies geschehen ließ. Sag nicht, dass es mir auch nur einen Moment lang Vergnügen bereitet hätte. Ich nahm diesen Exzess hin, wie ein Kranker die Arznei: Letzterer glaubt, damit sein Leben retten zu können, ich glaubte, so meine Liebe retten zu können. Und obwohl ich bereits in den ersten Tagen bemerkte, dass sich Deine Sinnlichkeit in dem Maße aufheizte, im dem Deine Liebe abkühlte, hoffte ich noch, erwartete ich noch etwas. Aber gestern – gestern fühlte ich, gestern verstand ich, dass nicht einmal mehr Sinnlichkeit in Dir ist, dass Du satt bist, dass ich überflüssig bin, dass es so nicht weitergehen darf. Du wirst noch wissen, dass Du mich gestern, als wir diesen verdreckten Verschlag im Hotel betraten, nicht einmal geküsst oder umarmt, ja nicht einmal ein paar Worte zur Begrüßung gesagt hattest; wortlos, mit der Ruhe eines Beamten, der zum Dienst kommt, hast Du angefangen, Dich auszuziehen. Ich sah Dir zu, sah, wie Du vor mir standest in Deiner – sei mir nicht böse – nicht gerade sauberen Unterwäsche und sorgfältig Deine Hose zusammenlegtest, wie Du dann zum Waschbecken gegangen bist, ein Handtuch genommen und es vorsorglich unters Kopfkissen gelegt hast; wie Du Dich später, als alles vorbei war, ohne Scham, sogar ohne Dich wegzudrehen, abgewischt und, nachdem Du mir vorgeschlagen hattest, das Gleiche zu tun, mir den Rücken zugedreht und Dir eine Zigarette angezündet hast. «Ist das also » , fragte ich mich, «ist das also die Liebe, für
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