Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Roman mit Kokain (German Edition)

Roman mit Kokain (German Edition)

Titel: Roman mit Kokain (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. Agejew
Vom Netzwerk:
Stein, dessen Gesicht einerseits vorwurfsvoll dreinblickte, weil man an ihm gezweifelt hatte, andererseits zufrieden, weil man ihm zu guter Letzt doch hatte recht geben müssen, breitete die Arme aus. «Meine Herrschaften » , sagte er selbstgefällig und vorwurfsvoll, «es ist Zeit. Zeit, dass wir endlich europäisch werden. Zeit, solche Dinge zu begreifen .»
    Ich war zwar recht häufig bei Stein zu Hause, aber er machte sich nie die Mühe, mich seinen Eltern vorzustellen. In der Tat, wäre Stein einmal zu mir gekommen, hätte ich ihn meiner Mutter auch nicht vorgestellt. Doch hatten die Analogien unseres Benehmens völlig unterschiedliche Gründe: Stein machte mich mit seiner Familie nicht bekannt, damit er sich vor ihr nicht für mich schämen musste; ich hätte Stein meiner Mutter nie vorgestellt, damit ich mich vor ihm nicht für meine Mutter schämen musste. Jedes Mal, wenn ich von Stein heimkam, quälte mich die bittere Kränkung eines Habenichts, dessen geistige Überlegenheit zu stark war, um zuzulassen, dass sie in offenen Neid mündete, und zu schwach, um gleichgültig zu bleiben.
    Es ist höchst eigenartig, dass die widerlichsten Vorkommnisse eine fast unüberwindbare Anziehungskraft auf uns ausüben. Nehmen wir einen Mann, der etwas isst, als plötzlich, hinter seinem Rücken, ein Hund sich erbricht. Der Mann könnte weiteressen und sich den Anblick der Widerlichkeit ersparen. Der Mann könnte schließlich auch aufhören zu essen und hinausgehen, ohne hinzusehen. Er könnte. Aber irgendein lästiger Drang, wie eine Versuchung (gütiger Gott, was soll das nur für eine Versuchung sein?), zwingt sich dazu, seinen Kopf umzuwenden und hinzusehen – einen Blick auf etwas zu werfen, das ihn mit zitterndem Abscheu erfüllen wird und das er entschieden nicht sehen will.
    Einen ähnlichen Drang verspürte ich auch in meiner Beziehung zu Stein. Jedes Mal, wenn ich von Stein kam, schwor ich mir, nie mehr einen Fuß über seine Schwelle zu setzen. Aber dann rief er nach einigen Tagen wieder an, und ich ging zu ihm; ich ging, als würde es mir Genuss bereiten, meinen Abscheu zu erregen. Häufig, wenn ich in meinem dunklen Zimmerchen lag, stellte ich mir vor, ich wäre Unternehmer, die Geschäfte liefen großartig und ich könnte schon meine eigene Bank gründen, während Stein völlig abgerissen und verarmt hinter mir herrennen, um meine Freundschaft buhlen und mich beneiden würde. Solche Träume, solche Visionen waren mir außerordentlich angenehm, wobei mir genau jenes angenehme Gefühl, das diese Vorstellungen in mir weckte (mag es auch durchaus merkwürdig und widersprüchlich scheinen), zutiefst unangenehm war. Wie dem auch sei, als dieses rasende, lange Klingeln mich zum Telefon rief, sprang ich jedenfalls fröhlich vom Sofa auf. Ich war an diesem denkwürdigen, für mich so grausamen Abend wieder bereit, zu Stein zu gehen, wie früher auch, denn er rief schließlich nach mir. Aber es war nicht Stein, der anrief. Ich war also über die kalte Treppe zur Telefonkabine gelaufen, die nach Puder und Schweiß roch, und hatte den Hörer aufgenommen, der an dem grünen gekräuselten Kabel tief über dem Boden hing, aber da kam das Flüstern, das der Hörer ausspuckte, nicht von Stein, sondern von Sander, einem Studenten, den ich erst vor Kurzem in einem Dienstzimmer der Universität kennengelernt hatte. Und dieser Sander bellte mir heiser ins Ohr, dass sein Freund und er heute Nacht ein Näschen schnupfen wollten (ich verstand nicht, fragte nach und erfuhr, dass er «Kokain schnupfen » meinte), dass sie aber wenig Geld hätten, dass es gut wäre, wenn ich ihnen aushelfen könnte, und dass sie mich im Café erwarten würden. Ich hatte eine vage Vorstellung von Kokain, mir schien aus irgendeinem Grund, dass es so etwas wie Alkohol sein müsse (jedenfalls was das Ausmaß der Gefahr für den Organismus betraf), und da ich an diesem Abend, wie übrigens auch an allen vorangegangenen Abenden, überhaupt nicht wusste, was ich mit mir anfangen sollte, auch nicht, wohin ich gehen könnte, ich aber noch fünfzehn Rubel hatte, nahm ich die Einladung freudig an.

2
    Es herrschte ein trockener, heftiger Frost, der alles so zusammenpresste, dass es zu bersten drohte. Als der Schlitten an der Passage vorfuhr, dröhnte von allen Seiten das metallische Kreischen von Schritten; von den Dächern stieg überall Rauch in weißen Säulen auf, dass es aussah, als hinge die Stadt wie eine gigantische Öllampe am Himmel. In der Passage war

Weitere Kostenlose Bücher