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Roman mit Kokain (German Edition)

Roman mit Kokain (German Edition)

Titel: Roman mit Kokain (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. Agejew
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zugleich; dann waren meine Nerven angespannt bis zum Zerbersten. Und einmal (es war mitten in der Nacht, im Haus schliefen alle, während ich, das Ohr am Türspalt, die Tür bewachte) ertönte plötzlich im Korridor irgendein nächtliches Poltern, zeitgleich setzte in der Finsternis meines Zimmers ein lang gezogenes Heulen ein, und erst einen Augenblick später begriff ich, dass ich selbst es war, der heulte, und meine eigene Hand hielt mir den Mund zu.

4
    Eine schreckliche Frage lastete diese ganze Kokainzeit hindurch auf mir. Sie war schrecklich, weil die Antwort darauf entweder in eine Sackgasse führte oder aber hin zur grauenvollsten aller Weltanschauungen. Denn diese Weltanschauung war eine Beleidigung für jenes Helle, Zarte und Reine, das nicht einmal der letzte Halunke – wenn er aufrichtig und besonnen war – zu beleidigen wagte: die menschliche Seele.
    Den Anstoß zu dieser Frage gab, wie das oft der Fall ist, eine Lappalie. Und wirklich, es schien an der Sache nichts Außergewöhnliches zu sein. Es schien nichts Außergewöhnliches daran zu sein, dass man, während das Kokain wirkt, höchst menschliche , noble Gefühle empfindet (hysterische Herzlichkeit, abnorme Sanftmut und Ähnliches), dass einen aber, sobald die Wirkung des Kokains verflogen ist, alsbald Gefühle von niederträchtiger , geradezu animalischer Art überkommen (Bosheit, Wut, Grausamkeit). In der Tat schien an dieser Abfolge von Gefühlen nichts Außergewöhnliches zu sein, und doch war genau sie es, die mich auf die schicksalhafte Frage brachte.
    Dass das Kokain in mir die edelsten , die menschlichsten Gefühle hervorrief, die zu empfinden ich in der Lage war – diesen Umstand konnte ich natürlich auf die berauschende Wirkung zurückführen, die das Kokain auf mich ausübte. Wie aber war das andere zu erklären? Wie war es zu erklären, dass ( nach dem Kokain) zwangsläufig derart niederträchtige, animalische Gefühle in mir aufkeimten? Wie war das Aufkeimen dieser Gefühle zu erklären, so unausweichlich und immer gleich, dass ich unwillkürlich den Gedanken hatte, meine menschlichen Gefühle könnten gleichsam durch einen Faden mit meinen animalischen Gefühlen verbunden sein, und wenn man die einen Gefühle übermäßig beanspruchte und damit verausgabte, wurden damit unweigerlich die anderen ausgelöst, ähnlich wie bei einer Sanduhr, bei der das Leeren des einen Kolbens vorausbestimmt , dass der andere sich füllt.
    Nun stellte sich die folgende Frage: War jene Abfolge der Gefühle allein auf eine besondere Eigenschaft des Kokains zurückzuführen, die es meinem Körper aufzwang, oder war diese Reaktion vielleicht eine Besonderheit meines Organismus , die unter dem Einfluss von Kokain nur besonders anschaulich zutage trat?
    Den ersten Teil der Frage mit Ja zu beantworten führte in eine Sackgasse. Den zweiten Teil der Frage mit Ja zu beantworten bedeutete dagegen, sich auf ein weites Feld zu begeben. Denn es lag auf der Hand, dass ich, wenn ich eine solch heftige Gefühlsreaktion einer Besonderheit meines Organismus zuschrieb (die unter der Wirkung des Kokains nur schärfer zutage trat), mir zugleich eingestehen musste , dass die Erregung meiner menschlichsten Gefühle auch ohne Kokain, in beliebiger anderer Situation, ( als Reaktion) den Drang auslösen würde, zum Tier zu werden .
    Bildlich ausgedrückt lautete meine Frage: Ist es möglich, dass die menschliche Seele einer Schaukel gleicht, der, wenn sie in Richtung Menschlichkeit angestoßen wird, schon vorherbestimmt ist, anschließend in Richtung Bestialität auszuschwingen?
    Ich versuchte, ein aus dem Leben gegriffenes, einfaches Beispiel zu finden, das diese Annahme bestätigen könnte – und wurde, wie mir schien, fündig.
    Stellen wir uns einen gutherzigen, sensiblen jungen Mann namens Iwanow vor. Er sitzt im Theater. Um ihn herum ist es dunkel. Der dritte Akt eines Rührstücks ist im Gange. Die Bösewichte stehen kurz vor dem Triumph und sind deshalb selbstverständlich bereits dem Untergang geweiht. Die tugendhaften Helden gehen beinahe zugrunde und befinden sich deshalb, wie es sich gehört, auf der Schwelle zum Glück. Alles nähert sich dem glücklichen und gerechten Ende, nach dem Iwanows edelmütige Seele so verlangt; sein Herz schlägt wie wild.
    Die erregende Theaterhandlung, die Liebe zu diesen ehrlichen, wunderbaren, sich sanftmütig in ihr Schicksal fügenden Menschenexemplaren, die Iwanow auf der Bühne sieht und um deren Wohlergehen er bangt – all

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