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Roman mit Kokain (German Edition)

Roman mit Kokain (German Edition)

Titel: Roman mit Kokain (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. Agejew
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Verlangen, diesen Menschen zu schlagen, zu erledigen, zu hassen. Somit erweist sich unsere Annahme als unbrauchbar, Iwanow könnte bereits vor dem Husten auf irgendeine Weise aufgebracht gewesen sein und dieser allgemeine aufgebrachte Zustand hätte ihn zu einem derart heftigen Ausbruch des Hasses verleiten können. Wir sollten diese Annahme also verwerfen und uns der zweiten zuwenden.
    Nehmen wir also an, Iwanow hätte sich gelangweilt, hätte Desinteresse empfunden. Wäre es möglich, dass ihn diese Gefühle zu einem derart wilden Anfall von Wut auf seinen hustenden Sitznachbarn verleitet haben? Ganz sicher nicht. Und wirklich, wenn Iwanows Seele sich in einem Zustand kalter Gleichgültigkeit befunden hätte, wenn Iwanow sich beim Blick auf die Bühne gelangweilt hätte – hätte er dann etwa das Bedürfnis verspürt, seinen Nachbarn zu schlagen, und zwar allein aus dem Grund, weil dieser einen Hustenanfall hatte? Nein, in diesem Falle hätte er niemals so ein Verlangen verspürt, und es wäre im Gegenteil durchaus möglich, dass er sogar Mitleid mit diesem kranken, hustenden Mann gehabt hätte.
    Um an dieser Stelle mit Iwanow zu einem Ende zu kommen, müssen wir nur noch die ärgerliche Lücke schließen, die wir uns beim Aufzählen der im Theater möglichen Gefühle erlaubt haben. Wir haben nämlich das (unter dem Eindruck der Theaterhandlung sehr häufige) Gefühl der Belustigung nicht erwähnt, dabei ist gerade dieses Gefühl besonders wichtig für unser Fallbeispiel. Wichtig deshalb, weil es einem möglichen Einwand gänzlich die Grundlage entzieht, dass nämlich Iwanows Wut auf seinen hustenden Nachbarn begründet sei , da er wegen des Hustens die Schauspieler nicht habe verstehen können . Aber wäre für Iwanow (empfände er Belustigung) das amüsante Spiel der Darsteller, das bei ihm diese Belustigung hervorruft, etwa weniger interessant, weniger wichtig? Würde er ihnen etwa nicht mit dem gleichen Nachdruck zuhören wie bei einer Tragödie? In diesem Falle würden jedoch weder Husten noch Schnäuzen noch sonstige Geräusche seines Nachbarn auch nur annähernd das Verlangen in ihm auslösen, diesen zu schlagen – vielleicht würden sie ihn nicht einmal stören.
    Kehren wir in Anbetracht der Dinge also zu unserer bereits früher geäußerten Annahme zurück. Wir müssen uns eingestehen, dass nur die größte seelische Ergriffenheit und also das erregte Beben der selbstlosesten, menschlichsten Gefühle bei Iwanow der Grund für das Aufkeimen dieser immer gleichen, animalischen, bestialischen Wut sein können.
    Natürlich wird die hier beschriebene Begebenheit im Theater nicht einmal den Arglosesten unter uns überzeugen können. Und wirklich, kann man etwa von der allgemeinen Natur der menschlichen Seele sprechen und als Beispiel irgendeinen aufgebrachten Iwanow und seinen erkälteten Sitznachbarn anführen, kann man einen offensichtlichen Einzelfall als Beispiel wählen, obwohl doch genau dort im Theater an die tausend Menschen sitzen, bei denen, wie bei Iwanow, unter dem Eindruck der Theaterhandlung die edelsten seelischen Kräfte mehrere Stunden lang in höchstem Grade angespannt waren (natürlich weil diese Theaterhandlung weder Lachen noch Heiterkeit noch Bewunderung des Schönen ausgelöst hat, sondern seelische Ergriffenheit)? Jedoch genügt uns ein Blick auf diese Menschen, in ihre Gesichter – sowohl während der Pausen als auch nach Ende der Vorstellung – , und wir werden uns leicht davon überzeugen können, dass sie in keiner Weise von Raserei befallen sind, sich über niemanden aufregen und niemanden schlagen wollen.
    Auf den ersten Blick scheint dieser Umstand unser ganzes Gebilde ordentlich ins Wanken zu bringen. Schließlich hatten wir die Vermutung geäußert, die Erregung der menschlichsten, selbstlosesten Gefühle mache die Menschen empfänglich für eine bestialische Aufgebrachtheit, wecke in ihnen die niederträchtigsten Instinkte. Und nun haben wir vor uns die Menge der Theaterzuschauer, Menschen, die unter dem Eindruck der Theaterhandlung die Erregung ihrer menschlichsten Gefühle durchlebt haben; wir blicken in ihre Gesichter, beobachten sie, wenn die Lichter aufflammen, beobachten sie besonders, wenn sie aus dem Theatergebäude kommen, und können nicht den kleinsten Anflug von Aufgebrachtheit bei ihnen erkennen, ja nicht den geringsten Hinweis darauf. So der äußere Eindruck, aber wir sollten uns nicht damit begnügen, wir sollten der Sache näher auf den Grund gehen. Stellen

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