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Roman mit Kokain (German Edition)

Roman mit Kokain (German Edition)

Titel: Roman mit Kokain (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. Agejew
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stößt und umso schlimmere Hiebe abbekommt, je kräftiger sein Stoß ausfällt, so zermürbt sich der Mensch und reibt sich auf an der Schaukelbewegung seiner Seele.
    Der Mensch zermürbt sich in diesem Kampf, und welchen Ausweg er auch wählt – ob er den Baumstamm weiter anschiebt, um sich schließlich bei einem besonders kräftigen Anschub den Schädel zu zertrümmern, oder ob er die seelische Schaukel zum Stehen bringt und in einem Zustand kalter Rationalität leben wird, herzlos und deshalb unmenschlich, vollends der Wärme seines Wesens beraubt – , beide Auswege führen zur endgültigen Erfüllung dieses Fluches , dieser seltsamen, schrecklichen Eigenschaft unserer menschlichen Seele.
    Wenn es im Haus still wurde, wenn die grüne Lampe auf dem Schreibtisch brannte und hinter dem Fenster die Nacht stand, kamen mit aufdringlicher Beharrlichkeit diese Gedanken in mir hoch, und sie waren ebenso zerstörerisch für meinen Lebenswillen wie jenes bittere weiße Gift für meinen Körper, das fein säuberlich in Briefchen auf dem Sofa lag und erregend in meinem Kopf bebte.

5
    Ein herrschaftlicher Saal, festlich wirkende Stühle mit übermäßig hohen Lehnen, ein niedriges Gewölbe und in alledem etwas düster Bedrückendes. Gäste trafen ein, alle sehr festlich aufgeputzt, und setzten sich an einen mit rotem Samt bezogenen Tisch, auf dem eine goldene Platte mit einem ungerupften Schwan stand. Neben mir nahm Sonja Platz, und ich wusste, dass wir unsere Hochzeit feiern. Zwar hatte die neben mir sitzende Frau mit Sonja nicht die geringste Ähnlichkeit, dennoch wusste ich, dass sie es war. Plötzlich, als alle schon Platz genommen hatten und ich mich immer noch erstaunt fragte, wie wir wohl den ungerupften Schwan zerlegen und essen würden, betrat Mutter den Saal. Sie trug ein abgewetztes Kleid und Schuhe mit Absätzen. Ihr graues Köpfchen zitterte, im gelben, abgemagerten Gesicht standen groß die Augen, wache, irgendwie ungut umherirrende Augen, die nach mir suchten. Sie kam immer näher, und als sie mich schließlich aus der Ferne entdeckte, woraufhin ihre trüben Augen einen schrecklichen und erfreuten Ausdruck annahmen, da machte ich ihr ein Zeichen, sie möge nicht zu mir kommen, es sei mir hier peinlich, mit ihr zu reden – und sie verstand. Sie lächelte kläglich und nahm verschämt am Tisch Platz, klein, zusammengeschrumpft. In der Zwischenzeit hatte man die Platte mit dem Schwan fortgebracht; Diener in roter Livree und weißen Handschuhen gingen umher – die einen deckten den Tisch, die anderen trugen Schüsseln mit irgendwelchen Speisen von Gast zu Gast. Einer der Diener kam, nachdem er alle Gäste bedient hatte, zu Mutter, um auch ihr etwas anzubieten; aber als er einen Blick auf ihr Kleid geworfen hatte, wollte er wieder kehrtmachen. Sie hatte sich jedoch schon den Servierlöffel aus der Schüssel gegriffen und lud sich etwas auf den Teller. Ich erstarrte – was, wenn die übrigen Gäste sie bemerkten? Unterdessen lud sich Mutter immer mehr auf den Teller, der Diener machte ein verdutztes Gesicht, was mein Leid noch vergrößerte, und als auf ihrem Teller bereits ein ganzer Berg lag, trug er die Schüssel dreist von ihr fort und ließ den Servierlöffel in ihrer Hand zurück. Mutter wandte sich um, wollte wohl den Löffel zurück in die Schüssel legen oder sich noch mehr nehmen, aber als sie sah, dass die Schüssel weg war, dass er sie fortgetragen hatte, begann sie mit diesem Löffel zu essen. Alles an ihr wurde plötzlich auf irgendwie niederträchtige Weise anders. Sie schlang über alle Maßen, schnell und gierig. Ihre Augen irrten ungut umher, ihr spitzes Greisenkinn flog auf und nieder, die Stirnfalten wurden feucht. Sie war plötzlich nicht mehr wie sonst, war irgendwie gefräßig und ein wenig abstoßend. Während sie gierig das Essen in sich hineinschob, sagte sie immer wieder ekelhaft-genüsslich vor sich hin: «Ach, wie das smeckt, wie das smeckt !» Ich empfand Mutter gegenüber auf einmal etwas Neues. Ich merkte plötzlich, dass sie lebendig war, ein Leib. Ich merkte plötzlich, dass ihre Liebe zu mir nur einen Bruchteil ihrer Gefühle ausmachte, weil sie außer dieser Liebe zu mir, wie jeder Mensch, einen Darm hatte, Arterien, Blut und Geschlechtsorgane, und dass Mutter diesen Körper, ihren Leib, viel mehr liebte und lieben musste als mich. Da senkte sich eine solche Schwermut auf mich nieder, eine solche Lebenseinsamkeit, dass ich beinahe aufgestöhnt hätte. Indessen hatte Mutter

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