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Roman unserer Kindheit

Roman unserer Kindheit

Titel: Roman unserer Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Klein
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zurechtgesägt hat, damit sie als Regale zwei Kellerwände füllen, sieht er, dass das Sofa perfekt ausgerichtet, wie mit der Wasserwaage ausgemessen, an seinem neuen Ort steht. Obwohl der Boden ein deutliches Gefälle aufweist, rührt die Rückenlehne an die alten rohen Ziegel, und die Sitzfläche scheint kein bisschennach vorn geneigt. Als der Wolfskopf auf die Knie fällt und unter die Couch guckt, glaubt er zu verstehen, wie dies bewerkstelligt worden ist. Aber weil ihm in seiner Überraschung die richtigen Worte fehlen, um es anschaulich zu erklären, ruft er nur, die anderen müssten sich unbedingt angucken, wie es gemacht sei, dass das Sofa und die Mauer aneinanderpassten. Schon liegen die Freunde bäuchlings im Gras. Sogar der Ältere Bruder hat seine neuen Krücken an die Mauer des Biergartens gelehnt und ist nach vorn gehüpft, um sich dazuzulegen. Alle sehen das Gleiche. Aber nur der Wolfskopf will es auch spüren und streckt den Arm aus. Weil ihm noch eine kleine Spanne fehlt, dreht er den Schädel zur Seite und schiebt sich, so weit es geht, unter die vordere Sofakante. Die Wolfskopfhand folgt einem eingesackten Mausgang, kommt so unter das aufliegende hintere Querholz und kann den kühlen Stein ertasten. Neben ihm murmelt der Schniefer, strohig schmeckendes Gras zwischen den Zähnen, die für ihn einzig denkbare Erklärung: Einer müsse die hinteren Beinchen des Sofas abgesägt, nein, einer müsse sie, ohne lang zu fackeln, mit einem Beil oder mit einem großen Hammer abgeschlagen haben, damit es passt, so wie es hier an der Mauer des Bärenkellers passen soll.
    Das leuchtet den anderen erst einmal ein. Und alle hätten sich, den Duft des weißen Grases atmend, die Bäuche auf dem warmen Grund und Ellenbogen an Ellenbogen, gerne noch ein wenig länger in einem guten, weil gemeinsamen Grusel ausgemalt, wie ihr Sofa von einem fremden Handwerker, von irgendeinem finsteren Zimmermann, so entschieden und brutal zurechtgehauen wurde. Aber da meldet sich das Möbel, als wollte es ihnen widersprechen, selbst zu Wort. Es kracht gewaltig, so gewaltig, dass alle ihre Köpfeins Freie reißen, dass Sybille und der Ältere Bruder mit den Schläfen aneinanderknallen und dem Wolfskopf, der den dicksten Schädel hat, der Kasten der Couch gegen den Hinterkopf donnert und seine Nase und die Schneidezähne gegen den sonnenharten Boden schlagen.
    Annabett Böhm ist schuld. Sybille hält sich die Schläfe, spürt eine Beule schwellen und schnaubt vor Empörung über die Allmacht ihrer Mutter. Die hat es ihnen nämlich eingebrockt. Gerade als Sybille zu den Freunden in den Hof entwischen wollte, war ihr befohlen worden, die kleine Schwester, die am Küchentisch stumm auf ihre weichgekauten Fingernägel guckte, mit hinauszunehmen. Da stünden doch die Zwillinge bei den anderen vor der Haustür. Die Kleine solle gefälligst beide, auch wenn es nur den einen körperlich getroffen habe, für den gestrigen Biss um Verzeihung bitten. Natürlich machte die blöde Zicke, während Sybille mit den Buben absprach, wohin es gehen sollte, nicht den geringsten Mucks. Als dann die neuen Krücken des Älteren Bruders neben ihn in den Zwillingskinderwagen kamen und sie Richtung Spielplatz aufbrachen, trottete sie wortlos hinterher, und jedem war klar, dass es Sybille Ärger mit ihrer Mutter einbringen würde, falls sie sich diese Begleitung verbitten sollten.
    Den Weg hinunter zum Rosenhang hat sich die Kleine brav und dumm gestellt. Während der Ami-Michi, bei ihrer Stippvisite in der Schrebergartenkolonie, mit einer prächtigen Kanne aus rotem Plastik das erste Beet begoss, das sein Vater angelegt hatte, um die letzten warmen Wochen zum Anbau einer winterfesten Rettichart zu nutzen, guckte sie mit ihrem neuen, stieren Blick ganz genau zu. Und kaum dass die anderen an das kleine Außenkabuff der Hütte getretenwaren, weil es dort weitere neue Gerätschaften zu bewundern gab, sprang sie mit einem Satz mitten auf die zu feinen Krümeln gelockerte und eben frisch getränkte Erde. Sie stampfte im Beet herum, als wollte sie die ersten, noch unsichtbaren Keime tief in die Erde treten, und hätte wahrscheinlich alles platt getrampelt, wäre sie nicht vom flugs herbeigesprungenen Schniefer auf den Rasen zurückgezogen worden. Der Vorfall hätte zumindest unsere Schicke Sybille warnen müssen, aber auch die wachsamste große Schwester ist, weil die Welt verführerisch und blendnerisch mit Krücken, Mauern, Sofas lockt, nicht immer auf der Hut.
    Sie

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