Roman unserer Kindheit
Rücken, schluchzen Wange an Wange, während das Tier Kopf und Hals in das leere Vehikel steckt, vielleicht aus hündischer Diskretion oder vielleicht, weil es dort drinnen, in der nichtigen Leere, für eine feuchte schwarze Nase etwas Interessantes zu erschnuppern gibt.
Die Szene rührt. Wen würde sie nicht rühren. Auch unseren dicken Polizisten hat das Bild mit Musikant, mit Panzerbrille und mit Blindenhund noch ein wenig milder gestimmt, als er sich ohnehin schon fühlt. Kein Wunder, dass ihm immer noch nicht einfällt, was ihm längst eingefallen sein müsste, dass nämlich just so ein Behindertenmobil Anfang des Monats bei der Oberhausener Inspektion als gestohlen gemeldet worden ist. Selbst ich könnte, in Einklang mit meinem lieben Kommandanten weich geworden, nun alles Mögliche vergessen. Mich rührt nicht nur das Wiedersehensglück der Männer, mir schmeichelt zudem zart, wie gern mich Sputnik riecht. Es ist nicht wahr, dass große Hunde nur an toten Vögeln oder an einem frisch ausgegrabenen Wurf hilfloser nackter Mäuschen wirklich innig schnüffeln. Unsere Sputnik mag auch einiges von dem, was ihr die Menschenan Duftnoten zu bieten haben, herzlich leiden. Die Hündin holt sich jeden Abend einen der Schuhe ihres Herrchens auf ihre Decke. Sie ist die Einzige, die es zu schätzen weiß, wenn dem Hausmeister des Kriegsversehrtenheims im Treppenhaus beim Schleppen seiner großen Holzleiter der Schweiß ausbricht. Und Sputnik liebt es über alles, wenn das strenge Fräulein Schößler so ausgiebig und schmerzhaft, wie es zu ihr passt, ihrer Monatsblutung frönt. Ach, mit dergleichen kann ich leider niemals dienen. So leiblich derb darf ich weder im Mobil des Kommandanten noch anderswo in den aromatischen Kosmos unserer lieben Sputnik treten.
Los geht’s! Der Wolfskopf und Sybille haben das Sofa seitlich angepackt, der Schniefer und der Ami-Michi beugen sich vor die Sitzfläche, zerren an deren Unterkante, aber ihre vereinten Kräfte reichen dieses Mal nicht aus, um es von der Stelle zu bewegen. Der Wolfskopf fällt auf die Knie, rupft ein paar Büschel Gras weg, um besser sehen zu können, wie das Möbel festhängt, und begreift erst jetzt: Die hinteren Füßchen sind gar nicht abgeschlagen, auch nicht verkürzt! Der große geheime Couch-Verrücker hat sie, weil er die elegantere Lösung vorzieht, im Erdboden versenkt. Alle bis auf den Älteren Bruder fassen jetzt Hand an Hand unter die Seitenkanten. Sybille gibt das Hauruck an, und gleich beim ersten Versuch löst sich das Holz mit einem merkwürdigen, fast tierisch volltönenden Schmatzen aus dem Grund. Die Kinder taumeln ein halbes Dutzend Schritte von der Mauer weg, dann rutscht ihnen das Sofa von den Fingern, rumst ins Gras und steht jetzt kläglich schief am Hang. Der Ältere Bruder kommt herangehumpelt und wirft sich gegen die Lehne, die bereitwillig nach vorn und dann wieder nach hinten klappt. Die Sitzfläche schnappthoch. Und alle sind erleichtert, im Bauch des Möbels nichts weiter als die anderen, die alten Krücken vorzufinden. Der Ältere Bruder nimmt sie und legt dafür die Felsenbrecher’schen in den Kasten. Mit einem Klick sind sie versteckt.
Wer wundert sich nun mehr? Mit wem kann ich mich nun am schönsten wundern? Die großen Kinder staunen mit dem Älteren Bruder über die Krücke, die er in der rechten Hand hält. Das alte Ding fußt nicht mehr in einem Zylinder aus abgewetztem und porös gewordenem Gummi. Der Stöpsel ist futsch. Und das massive Ende der Stange läuft, wie von einer Maschine abgedreht oder von einem geduldigen Schlosser zurechtgefeilt, in einen gleichmäßigen Kegel aus. Sybille prüft die blanke Spitze vorsichtig mit dem Daumen, und der Ami-Michi meint voll Respekt, so etwas, so einen Speer würde er nicht in den Bauch bekommen wollen.
Die beiden Kleinen, die Zwillinge, stehen unterdessen an der Mauer. Der Krückentausch ihres großen Bruders scheint ihnen gleichgültig zu sein, zumindest haben sie dem Sofa, kaum war es abgesetzt, den Rücken zugekehrt und sind zurück zur Ziegelwand. Weil sie zu zweit sind, können sie zeitgleich in die beiden Löcher gucken. Die hinteren Füßchen der Couch haben als ihr Negativ zwei hohle Quader im Boden hinterlassen. Wie sauber diese Schächtlein ausgestochen sind! Das frische Weiß der Graswurzeln verrät, dass sie erst vor kurzem von einem scharfen Grabgerät zerschnitten wurden. Als würde dies nicht reichen, um ihnen Achtung, ja Ehrfurcht vor dem Unbekannten
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