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Roman unserer Kindheit

Roman unserer Kindheit

Titel: Roman unserer Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Klein
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unterirdischen Gewässer, sondern dass sie im weißen Block gelandet sind. Er sieht hinauf in den Dachstuhl, der Balken für Balken dem Dachstuhl des grünen Blockes gleicht. Er sucht an den rohen dunkelroten Wänden nach den verschlossenen Türen und Fenstern, aber er kann sie so wenig entdecken wie irgendeinen Rest der offenbar herausgebrochenen Zwischenwände oder Stockwerksdecken. Dafür steht ihm jetzt deutlich vor Augen, wie der Vater, der an allen fünf Blöcken mitgewerkelt hat, nicht nur mürrisch, sondern immer auch, als unterdrücke er einen hochschwellenden Zorn, mit der Rechten abgewunken hat, wenn ein Gespräch an die Existenz des blickdicht vernagelten Wohnblocks rührte und irgendjemand Genaueres wissen wollte. Der Vater hätte also erzählen können, dass die Fundamente überflutet sind. Bestimmt war und bleibt dieser grüne See der Grunddafür, dass das Haus so unnütz herumstehen muss wie eine riesengroße hohle Nuss.
    Die Zwillinge wagen sich weiter. Sie laufen die Uferzunge hoch, die sich rechts, ein gutes Stück über die Mitte des grünen Beckens hinaus, an der Mauer entlangzieht. Der Streifen ist so schmal, dass sie sich hintereinander halten müssen, so hoch mit Vogelreliquien bedeckt, dass ihre Füße bis an die Waden drin versinken und ihnen Federchen, vom Stapfen aufgewirbelt, in den Kniekehlen kleben bleiben. Jetzt zeigt der vordere, der bis an das Ende der Landzunge vorgedrungene Zwilling schweigend auf den See hinaus. Sein Bruder erreicht ihn und ruft den anderen zu, da schwimme etwas. Der Wolfskopf, der Schniefer und der Ami-Michi suchen mit hin und her pendelnden Blicken die dunkelgrüne Fläche ab und entdecken einen hellen rechteckigen Fleck, nicht größer als eine Postkarte, der auf dem unbewegten Wasser treibt.
    Sybille aber, unsere chronisch kurzsichtige Sybille, guckt gleich den Älteren Bruder an. Im Dämmer des hohlen Hauses, das sie nicht als den weißen Block erkennt, begreift sie plötzlich, dass er schon immer am besten gesehen hat, dass er den anderen bereits auf eine solche Distanz so viel voraushat, wie ihr selber zur durchschnittlichen Weitsicht der Jungen fehlt. Vielleicht erspäht der Ältere Bruder bereits in diesem Augenblick die Nasenspitze, die runde Stirn und die Oberlippe ihrer ertrunkenen kleinen Schwester. Sie hofft mit heißem Herzen, es möge so sein und sie dürften das blöde Stück, kalt und mausetot, aus dem Wasser ziehen. Gewiss gäbe es ein großes Heulen und Jammern, wenn sie dann, die Leiche im Zwillingskinderwagen, in den Hof einführen. Bestimmt würden die weinenden Mütter das pitschenasse, das glitschig algenverschmierte Köpfchen streicheln, an dieBrüste pressen oder sogar küssen. Und ohne Zweifel würde der Vater sie am Tag seiner Rückkehr aus dem Krankenhaus mit seinen kleinen, aber harten Händen grausam verprügeln, schlimmer, als je ein Kind im Hof verprügelt worden ist. Der Vater würde ja gar nicht anders können, da sie, die stets Verantwortliche, nicht auf sein Herzstück achtgegeben hatte. Doch danach wäre alles gut wie nie zuvor, dann wäre der ewige Ärger mit der Göre ein für alle Mal, für alle kommenden Familien- und Freundestage, ausgestanden.
    Der Ältere Bruder, der gleich Sybille zuerst an deren kleine Schwester denken musste, schaut so scharf hin, wie er nur schauen kann. Es scheint ein Stückchen Stoff zu sein, zumindest irgendein weiches, stoffähnliches Material, das sich mit Wasser vollgesogen hat, aber doch leicht genug geblieben ist, um nicht abzusaufen. Er stakst hinüber zu den Brüdern, die Freunde folgen ihm. Schon stehen sie auf dem schmalen Streifen aufgereiht. Der Schniefer findet, es sehe aus wie eines seiner Taschentücher. Der Wolfskopf meint, es könne genauso gut ein Stück aufgequollene weiße Pappe sein. Und ihr Michi, der als Letzter, vorsichtig Fuß auf Fuß in die weiche, knisternde Federmasse senkend, zu ihnen aufschließt, behauptet, da draußen schwimme eine Postkarte, die Schriftseite nach oben, er könne die halbverschmierten Kugelschreiberzeilen ganz deutlich unterscheiden, aber leider nicht lesen, weil alles auf Amerikanisch aufgeschrieben sei. Der Ältere Bruder schüttelt den Kopf, von irgendwelchen Buchstaben könne keine Rede sein, da treibe ein blankes Stück gewebter Stoff, rechteckig zugeschnitten, und an den Ecken sei viermal etwas Braunes befestigt; wenn seine Augen ihn nicht trügten, seien es vier Streifen Klebeband.
    Wie gut die Augen unseres großen Bruders sind! Selbstich

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