Roman unserer Kindheit
die liegt so nah oder fern, wie es sich gehört. Jetzt erst versteht er, dass die Verringerung der Raumhöhe von unten kommt. Was er im trügerisch flirrenden Dämmer zunächst für den Holzfußboden hielt, ist eine nachträglich angehäufte Schicht. Vor ihm erstreckt sich eine silbrig graue Fläche, auf der ganz leicht, von irgendeinem Hauch bewegt, ein grünes Glänzen spielt. Er streckt die linke Hand aus, jedoch bevor die Fingerspitzen in die unglaublich dicht gepackten Federn fassen können, rutscht ihm draußen ein Fuß ab. Er fasst nach hinten, bekommt dort nur den Rand des Fensterblechs zu fassen, die Leiter gleitet weggestoßen weiter, er spürt den Schlag des Holms am Knöchel, hält sich noch kurz an der Unterkante des Fensterrahmens, und schon zerbröselt ihm der Vogelschiss von sieben Jahren wie nichts zwischen den Fingern und den langen Fingernägeln.
Sputnik und Sputniks Herrchen sehen den Taubstummen lautlos fallen. Mir bleibt genügend Zeit, um ihm beim Denken zuzuhören. Stürzend sorgt sich der Kikki-Mann kein bisschen um Knöchel, Knie und Ellenbogen, die gleich die Wucht des Aufpralls schlucken müssen. Unser Kanarienvogel- und Wellensittichzüchter sorgt sich während seines Flugs stattdessen mit einer übergroßen, mit einer flügelweit gespannten Angst, mit einer Furcht, tief wie ein Teich voll Federn, um den, der vor ihm aufgestiegen ist. Wo ist der Mann ohne Gesicht nur abgeblieben? Wenn er sich da oben an der Innenseite der Mauer oder den verborgenen Dielen besinnungslos geschlagen hat, ist er verloren. Das flaumige Zeug, der Bodensatz dieses Vogelgrabs, ist gefährlicher als Wasser, tückischer als jeder aus abgesunkenem Laub entstandene Schlamm. Das Mullviereck vor Nase und Mund würde ein elendes Ersticken des Bewusstlosen nicht verhindern können.
Die Kinder haben einfach durchgehalten und sind nach sturem Weiterstapfen endlich wie an einem die ganze Zeit geahnten Ziel am Ufer angekommen. Sybille lacht und breitet die Arme aus, denn der See ist viel zu schön, um sich vor seinem Dunkelgrün zu fürchten. Das Wasser liegt völlig unbewegt. Erst als der Ältere Bruder mit der angespitzten Krücke in die matt glänzende Oberfläche sticht, bilden sich Kreise, die der Mitte des streng begrenzten Gewässers entgegeneilen. Allen gefällt, wie der stille, samtig veralgte See an die hoch aufragenden Mauern rührt. Sie scheinen in einem ungeheuer weiten Keller angelangt und schauen zugleich über tausendundeinen rohen Ziegelstein hinauf in den First eines langgezogenen Dachs. Es ist, als hätte eine Riesenhand ein großes, hohles Haus über eine von Regen- oder Grundwasser gefüllte Mulde gestülpt, damit der wilde Zufallsteich, abgeschirmt gegen Wind, Laub, Staub und Sonne, im Lauf der Jahre ein ganz besonderes Grün und schließlich die Erhabenheit eines künstlich angestauten Sees erlangte.
Allein der Ami-Michi mag nicht stillstehen. Ihm ist, vielleicht weil er als Einziger noch nicht schwimmen kann, recht flau im Magen. Zudem macht ihn das Knacken unter seinen Sohlen, das feine Knacksen, das auch die Schritte der anderen dem Ufergrund entlocken, so nervös, dass er, unruhig auf der Stelle tippelnd, erst recht ein Knick-knack nach dem anderen provoziert. Dabei versteht er ohne Mühe, wie hier am Rand des Wassers das eine mit dem anderen zusammenhängt. Sogar Sybilles verrückte kleine Schwester oder der doofe Fröhlich-Junge, ja selbst ein Baby könnte es leichthin kapieren. Rechts oben fällt ein schmaler Lichtstreif in das ausgehöhlte Haus. Da droben muss ein Ausgang in die Tagwelt sein, dort oben kommen die Vögelherein, von denen dann manche nicht mehr nach draußen finden. Der Ami-Michi denkt sich, dass es nicht unbedingt die dümmsten Amseln, Spatzen oder Meisen sind, die sich derart verirren. Vielleicht sind es sogar eher die klügeren, diejenigen, die sich hinter ihren runden Augen in ihrem Piepmatz-Hirnchen allerlei Schlimmes vorstellen können, vor lauter Angst die Übersicht verlieren und schließlich das Einfachste, das Fliegen zum Licht hin, nicht mehr zustande bringen. Weil ihnen irgendwann die Kraft zum Flattern ausgegangen war, sind sie hier am Ufer auf den Federn, den Brustbeinlein und den gekrümmten Krallen ihrer Vorgänger hocken geblieben und haben bloß noch ab und zu, in immer größeren Abständen, den Schnabel ins grüne Nass getippt, bis ihnen auch hierzu das Köpfchen zu schwer geworden war.
Der Ältere Bruder begreift, dass sie nicht bloß an irgendeinem
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