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Roman unserer Kindheit

Roman unserer Kindheit

Titel: Roman unserer Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Klein
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noch immer famoser Zirkus-Witz, der Witz von den Liebeskünsten der Gummi-Frau, mit überdeutlich bewegten Lippen vorgesprochen werden.
    Der Kikki-Mann drückt seine Kippe mit dem Absatz tot, nimmt dann auch Achim die Zigarette ab, um dieser mit zwei langen Zügen die letzte Ehre zu erweisen. Der Junge hat prima mitgeholfen. Der Kikki-Mann ist stolz auf ihn. Zu Recht! Obschon ich unserem Ersatzmann, als ihm auf der Leiter vor dem weißen Block schlimm schwindlig wurde, diesen Schwindel in letzter Sekunde aus dem Kopf blies, will ich die Leistung des kräftigen und geschickten Buben auch dieses Mal nicht schmälern. Er und der Mann ohne Gesicht haben das schief am Abhang hängende Sofa wieder an die Mauer zurückgestellt. Es war nicht nötig, ihnen einzuflüstern, wie dessen hintere Füßchen in die mit einem Spaten sauber ausgestochenenLöcher passten. Im Nu saßen die beiden Kriegsversehrten rittlings auf der Mauer. Sputnik sprang auf die Couch. Achim bewies noch einmal seine Stärke und hob die Hündin so hoch, dass die Männer sie an ihrem Geschirr packen und übernehmen konnten.
    Der Wolfskopf hat indessen das schwingende Papier zerblasen. Vielleicht ist die viele Spucke schuld gewesen, oder er hat im Eifer seines unbeholfenen Musizierens die Zähne zu fest auf den Kamm gepresst. Auch mit dem Weiterlaufen, mit dem beruhigenden Tipp-Tapp ihrer Sandalen ist jetzt Schluss. Stattdessen müssen die Freunde hören, wie es von oben in den Gang herabgrollt. Und seit sie bloß noch dastehen und all ihre Kräfte ins Lauschen fließen, hat das tiefe, nach hartem Holz klingende Wummern noch an Bedrohlichkeit gewonnen. Unsere Zwillinge könnten dieses Geräusch mit einem Vergleich in einen Sprachbann legen. Zu ihrer Eier-Sammlung, die hauptsächlich aus ausgeblasenen und österlich bemalten Hühnereiern besteht, gehört als kurioser Fremdling seit mehr als einem Jahr auch das Stopf-Ei aus dem Nähzeug ihrer Mutter. Sie haben es ergattert, weil diese wie fast alle Mütter, die sich in den fünf Blöcken um die Kleidung ihrer Familien kümmern, das Sockenstopfen in den letzten Jahren als unnütz mühseliges Tun, als eine echte, jede moderne Frau beschämende Zeitfron aufgegeben hat. Das überflüssig gewordene Ding ist aus massivem Buchenholz gedreht, von früherer Nutzung glänzend glatt poliert und größer, als je ein Huhn ein Ei zustande brächte. Die Zwillinge wissen, wie es sich anhört, wenn das Stopf-Ei über den Küchentisch gekullert wird. Vor allem, wenn sie sich zu Forschungszwecken trennen und der eine das schwere Ding am Rollen hält, während der andere das Ohr gegen die Plattepresst, gibt es ein gewaltiges Dröhnen zu hören, das dem nun aus der Oberwelt vernommenen erstaunlich ähnlich ist. Zudem hätten sie noch einen Witz parat, in dem ein solches Holz-Ei vorkommt. Aber weder der eine noch der andere kriegt hierzu die Zähne auseinander.
    Die Treppe, an deren Fuß sie stehen, ist ungewöhnlich steil. Sie dreht sich um ein rostiges Rohr, als wäre ein einziger schmiedeeiserner Kreis zur einfachsten Spirale, die man sich denken kann, entzerrt. Der Wolfskopf wirft das Silberpapierchen weg, steckt seinen neuen Kamm nicht zurück in den Hosensack, sondern in die seitliche Messertasche, damit ihm das aus Horn gesägte Ding beim anstehenden Aufstieg nicht zerbricht. Der Ältere Bruder kratzt mit seiner Krücke über die schmalen Stufen aus Gitterblech, um zu prüfen, ob er in den sechseckigen Löchern, die ein hübsches Wabenmuster bilden, hängen bleiben könnte. Zum Glück sind sie zu klein. Wenn ihm die Freunde helfen, wenn der Wolfskopf den Schädel unter seinen Hintern, wenn Sybille die Fäuste in sein Kreuz stemmt, wird er es nach oben schaffen.
    Annabett Böhm ringt mit der Angst. Kaum dass der rotnasige Professor, den ihre Nachbarin für einen Künstler, für einen hochgenialen, aber leider Gottes auch hochgrausamen Artisten auf dem Feld des Fleisches hält, an das Bett ihres Manns getreten war, pochte ihr diese Angst im Hals. Kurz durfte sie dann denken, etwas in ihr hätte nichts weiter als die schlechte Nachricht, die erst in einen Witz gehüllte, dann nackt anatomisch präsentierte Zukunft des Knies vorhergesehen. Aber während ihr Mann erbleichte, während er, das Ende seines Fußballglücks begreifend, glasige Augen bekam und wortlos schluckte, während der geschwätzige Chirurg noch einen zweiten, dieses Mal schamlos ordinären Witz erzählteund sich dazu, wer weiß warum, die ganze Zeit den Bauch

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