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Roman unserer Kindheit

Roman unserer Kindheit

Titel: Roman unserer Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Klein
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Gummis, aber man kann ihn auf den Fliesenrillen quarren hören. Keiner der anderen fragt, wozu sie ihren Ball mit in die Waschküche genommen hat. Am großen Tisch vor dem Kellerfenster spielen die Zwillinge Tierquartett mit dem Wolfskopf und mit Sybilles Schwester. Der fehlt zu den bereits gesammelten drei dunklen Bären, den braven Allesfressern, nur noch der vierte Artverwandte, der schreckliche, der weiße, sie ahnt sogar, in wessen Hand der Räuber die Zähne fletscht, aber just, als sie ihn herauszupft, spürt sie, dass sie auch heute, in diesem Spiel nicht und in keinem der noch folgenden, als Erste ihre letzten vier Karten auf den bleichen Holztisch pfeffern darf, und die Zwillinge, die sie aus leidvoller Erfahrung kennen und noch besser kennenlernen werden, müssen gleich die ersten Wuttränchen in ihren Augenwinkeln glitzern sehen. Der Schniefer hat in einem Obstkistchen eine Auswahl aus seiner Autosammlung mitgebracht, die weißblonden Geschwister Fröhlich aus dem vorderen Block dürfen die eisenschweren Modelle brummelnd über den Boden schieben, dürfen sie sausenund kurven und rückwärtsrollen lassen, aber absolut keinen Unfall, nicht einmal den zartesten Zusammenstoß mit den makellosen Automobilchen simulieren.
    Allein Sybille, die Älteste, kann sich wie durch einen seifig trüben Dampf an die Tage erinnern, als dieser Raum wie eigentlich geplant zum Wäschewaschen diente. Inzwischen ist ihre Mutter stolze Besitzerin einer Waschmaschine und einer separaten Wäscheschleuder. Frau Böhm muss also nicht mehr, wie sie es vorher lang genug machte und es nicht wenige der Frauen weiterhin tun, den vollen Korb auf dem Fahrradgepäckträger zum Waschsalon in den Kreuztöterweg hinüberschieben. Hier unten am riesigen kupfernen Bottich will keine Mutter mehr zugange sein. Nie mehr sollen Bettwäsche und vorgespülte Windeln in einer schaumgekrönten Lauge schwimmen. Kein einziges Scheit Holz wird auf dem schwarzglänzenden Rost unter dem Kessel in Flammen aufgehen. Etwas ist endgültig aus dem Zaumzeug der Zeit gerutscht und auf dem Weg zurückgeblieben. Wenn alle, die jetzt hier unten spielen, ihre Kinderzimmer für immer hinter sich gelassen haben, wird ein Altmetallhändler, der noch zurückliegenden Juli, am Ende seines vorletzten Hilfsschuljahrs, als bleichhäutiger Lümmel im türkisen Block ergebnislos vor seinen Rechenhausaufgaben saß, sämtliche Kessel auf den Wiesen vor den Kellereingängen, also fast noch an Ort und Stelle, mit dem Vorschlaghammer zu immer anders schiefen Platten klopfen und ein gutes Geschäft mit dem für einen pauschalen Spottpreis erworbenen Kupfer machen.
    Sybille quietscht mit dem Ball. Sobald sie die Augen geschlossen hält, verdecken die langen schwarzen Wimpern, die sie von ihrer Mutter geerbt hat, die unteren Lider, die immer ein wenig angeschwollen wirken und ihr eines Tages,wenn sie sich bei geselligen Gelegenheiten gern beschwipst, den Ruf eintragen werden, sie trinke notorisch zu viel Alkohol. Unser großer Bruder rutscht auf der langen Holzbank zum Waschkessel hinüber, schiebt dessen riesigen, schwarzlackierten Blechdeckel ein Stück beiseite, um hineinzuschnuppern. Das Kupfer riecht. Und wenn die Luft so feucht wie heute ist, kann er das Edelmetall sogar seltsam laugig ganz hinten auf der Zunge schmecken. Die Kesselhöhlung ist tief genug, um seinem schneller gewordenen Schnaufen ein Echo anzuhängen. Das Schimmern, die orange Reinheit, die nackte Neuwertigkeit des Potts flößen ihm stärker noch als sonst ein Unbehagen ein, verraten ihm die Verfehltheit, das dingliche Verbittern des ganzen Raums, ohne dass er sagen könnte, wer sich hier worin geirrt oder womit verplant hat. Wie schon oft spürt er den heftigen Wunsch, in den Bottich hineinzuklettern. Aber er weiß, auch wenn sein Fuß wieder ganz heil sein wird, muss er diesem Verlangen widerstehen. Es wäre unklug, vielleicht sogar gefährlich, sich allzu innig mit dem rundum lautlos grollenden Kessel einzulassen. Der Ältere Bruder ahnt, das Kupfer hadert mit den Müttern, die es nun mit den elektrischen Maschinen halten. Wahrscheinlich lauert es bloß darauf, dass ihm eines der Kinder Gelegenheit zur Rache gibt.
    Obwohl die Waschküche zum Keller gehört, hat sie ein großartiges Panoramafenster. Es ist doppelt so hoch wie die armseligen Luken der Kellerabteile und des Fahrradabstellraums, und es erstreckt sich über die ganze Breite des Raums. Wäre die Waschküche ein in die Erde gesunkener hohler Kopf,

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