Roman unserer Kindheit
Köpfchen, dessen teerartig verschmortes Haar und unvermeidbar das Gesicht, bestaunt dessen Verwandlung und Verklärung. Das ist noch leidlich erkennbar der unlängst, der einstmals auch von ihm geschätzte Arbeitskumpel, allerdings märchenhaft verschrumpelt, doppelt entrückt, weil säuglings- und greisenhaft zugleich.
«Statt ’ner Spritze gibt’s heut Witze!», hat Professor Felsenbrecher geantwortet und laut und seltsam hechelnd über diesen Reim gelacht, als die Mutter ihn fragte, ob ihr Sohn nicht erst einmal etwas gegen die anstehenden Schmerzen bekommen könne. Und dann befahl er, der Mutter im Schwesternzimmer eine Tasse Kaffee und einen Butterkeks zu offerieren. Dass sie ihren Knaben den ganzen Weg bis ins Josephinium geschoben habe, sei eine olympiareife Leistung. Sie möge sich erst einmal stärken. Hier würde nun alles Weitere von Mann zu Mann erledigt. Seine rosigen Pranken schoben die Widerstrebende hinaus, und noch bevor die Tür ins Schloss fiel, war schon der erste Cowboy-und-Indianer-Witz auf den Älteren Bruder abgefeuert. Der legendäre Cowboy Jim steht gefesselt am Marterpfahl, und der Häuptling der Komantschen fragt den hochgeschätzten, endlich gefangengenommenen Feind, ob er wünsche, auf eine besondere Weise zu Tode gemartert zu werden.
Mit diesen Indianerworten fängt es an. Und bald, nachdem der schützende Verband, nicht umständlich abgewickelt, sondern mit einer besonderen Schere ruckzuck aufgeschnitten worden ist, tut es so elend weh, wie es CowboyJim wehgetan haben muss, als die Prärie-Termiten begannen, ihm den in der Sonne schnell angetrockneten Honig von der nackten Haut zu beißen. Der Häuptling, der wie alle wahren Rothäute sein Wort hält, hat den letzten Wunsch des Cowboys nämlich sogleich erfüllen lassen. Jim wurde splitternackt ausgezogen, an einen mannshohen Termitenbau gefesselt und bis zum Hals mit dem Honig wilder Bienen eingestrichen. «Die Salbe hat nichts getaugt. Jetzt reißen wir die Chose komplett wieder herunter bis aufs Fleisch!», sagt der Professor zwischendurch zur dicken kleinen Schwester, die ohne die Mutter zurückgekommen ist, um bei der Versorgung des Fußes zu assistieren. Und während beide an der Ferse unseres Älteren Bruders rupfen und zupfen, arbeiten sich die Termiten, die ein einzigartig pedantisches Kollektiv sind, schon an den Waden von Cowboy Jim nach oben. An den Fußgelenken haben sie sich extra lang aufgehalten, denn der Hanf der Fesseln hat den Honig aufgesogen und musste deshalb gründlich bespeichelt, bekaut und bis ins letzte honigtriefende Fäserchen durchgenagt werden.
Dann liegt der Fuß des Älteren Bruders ein ganzes Weilchen bloß, und die kühle, nach Jod duftende Luft des Josephiniums brennt darauf genauso scharf wie der gnadenlose amerikanische Gluthauch auf den Beinen von Jim. Dessen Knie sind knallrot, nicht nur, weil den nackten Cowboy die Sonne versengt, sondern vor allem, weil die Termiten inzwischen auch dort saubere Fressarbeit geleistet haben. Professor Felsenbrecher aber ist mitten in diesem Witz, der kein Ende nehmen kann, hinausgegangen. Durch die offene Tür hört ihn unser großer Bruder mit der Apotheke telefonieren, die gleich unten neben dem Eingang des Krankenhauses ist. Freundlich und barsch zugleich, in einem Tonfall, wie ihnnur große Häuptlinge anschlagen können, wird die sofortige Zubereitung einer verbesserten Salbenmischung in Auftrag gegeben. Zuvor müssen jedoch noch die vertrockneten Reste der alten bis auf den letzten Fitzel abgeschabt werden, und dabei wird dem Älteren Bruder, der wie Cowboy Jim die Zähne in die Unterlippe gräbt, schwindlig, und er macht die Augen zu, weil sich die dreiäugige Lampe an der Decke zu drehen beginnt, und als er die Lider wieder aufschlägt, bringt eine junge Schwester schon die frische Wundsalbe herein.
«War’s schlimm, Jim?», fragt Jims Pferd den Cowboy, nachdem die sturen Biester ihn bis an die über seinem Hintern festgebundenen Hände abgenagt und schließlich frei gebissen haben und er den treuen Gaul mit einem Pfiff aus der nächtlichen Prärie herbeigelockt hat. Behutsam steigt der vom Mondlicht bleich beschienene Prärieheld in den Sattel, bleibt vorsichtshalber, steif aufgerichtet, in den Steigbügeln stehen und antwortet dem klugen Vierbeiner nach einem nachdenklichen Seufzen: «Na, wenn ich ehrlich sein soll, zuletzt war es für mich ziemlich genau das Gegenteil von einem Honiglecken!»
Mich kann nichts jucken. Mir wird die Haut
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