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Roman unserer Kindheit

Roman unserer Kindheit

Titel: Roman unserer Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Klein
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es in seine Einkaufstasche. Der Rückweg geht ihm, obwohl er, auf den Drosselgrund gekommen, in einen zögerlichen Trott, fast in ein verlogenes Schlendern fällt, dann viel zu schnell. Unter der alten Buche gönnt er sich noch einen Halt und lehnt sich, obwohl er nicht an das Gute oder Heilende in den Pflanzen glaubt, gegen den glatten Stamm. Am Rosenhang ist weit und breit kein Mensch zu sehen. Er hebt die nötige Grube, ein Grübchen nur, nahe neben dem Sofa aus, damit er dessen frühere Fracht bloß mit der Spatenkante hineinzuschieben braucht. Als er den größten Teil der Erde zurückgekratzt hat und das sauber ausgestochene Wiesenstück wieder an seine alte Stelle drückt, wölbt sich die Sode nicht sonderlich empor. So wenig Raum nehmen die kleine rauhaarige Dackelhündin und ihre beiden nackten, im Licht unserer Welt blaulila angelaufenen Welpen nun im Dunkeln unter den haarfeinen Wurzeln des Grases ein.

Sonnentag
    Professor Felsenbrecher ist unzufrieden. Wieder raunzt er die kleine dicke Schwester an, als ob sie schuld an dem sein könnte, was er sich nun aus allernächster Nähe ansieht, was er, wie es seine Art ist, zugleich begucken und beschnüffeln muss. «Schwester! Schauen Sie sich das bloß an: Wie das hier an der Ferse nässt. Und wie es riecht. Süßsauer! Wie schlechtgewordener Wurstsalat. An der Salbe kann es nicht liegen. Oder doch? Klingeln Sie gleich mal zu unserem Pillendreher runter! Der Chef soll bitte selber an den Apparat.»
    Dann grummelt und witzelt er hinter der angelehnten Tür ins Telefon. Der Ältere Bruder schämt sich dafür, dass seine Ferse stinkt. Und weil er kurz allein im Raum ist, weil nicht nur der Professor, sondern auch die Mutter und die Ordensschwester hinausgegangen sind, richtet er sich auf und greift nach seinem Unterschenkel. Ganz dicht holt er sich den schuldigen Fuß vor das Gesicht, macht aber vor dem Heranziehen die Augen zu, da er bloß riechen und auf keinen Fall etwas sehen will. Aber wie es dann nur ganz schwach nach Medizin und Schwitze duftet, klappen ihm unwillkürlich doch die Lider auf, und er muss die ganze Bescherung überblicken, die speckig geschwollene, gelb und orange verfärbte und lila marmorierte Unglückslandschaft, die von den Fadenstummelreihen wie von verkohlten Zaunpfosten in seltsam geformte Parzellen untergliedert wird.
    «Gottfried! Wenn ich dem alten Pavian noch trauen könnte,würde ich den Buben an die Uni-Klinik rüberschicken, aber der verkalkte Affe hat mir doch letzten Monat schon das Mädchen mit dem wilden Fleisch vermurkst.» Der Ältere Bruder hat diese Patientin sogleich vor Augen. Eigentlich sieht sie wie Sybille aus. Allerdings ragt dem unglücklichen Schützling des Professors auf dem kahlgeschorenen, dem völlig glatt rasierten Kopf das zu Recht wild genannte Fleisch empor: Aus der Mitte des Schädels erheben sich zwei pralle himbeerfarbene Wülste. Nicht nur ein Affe, nein, eine ganze Horde schwarzhaariger Schimpansen, deren lange Arme aus weißen Kitteln baumeln, die hinter dicken Brillengläsern ratlos mit ihren Affenaugen rollen, beugen sich, leise schnatternd, über das Kopfgewächs, bis schließlich ein besonders großer, über der schmalen Stirn silbrig ergrauter Oberaffe das wilde Fleisch mit einer kleistertrüben Salbe fehlbehandelt, so schrecklich falsch, dass dem armen Mädchen zwischen den beiden schon da gewesenen, bald zwei weitere Bögen wilden Fleisches und ein besonders auffälliger, roter Knubbel aus dem bloßen Kopf gedrungen sind. Das hätte Professor Felsenbrecher hier in seinem Josephinium natürlich besser selbst versorgt. «Gottfried! Springst du schnell rüber? Komm bitte hoch und schau dir meinen Buben an!»
    Der Apotheker kommt, lässt sich die Hand von der Pranke des Professors quetschen, schnappt sich einen Hocker und setzt sich vor den Fuß, ohne dem Jungen, dem das fragliche Glied gehört, ein Wort zu gönnen. Der Ältere Bruder sieht über sein linkes Knie hinweg die schuppige Glatze des kleinen Mannes und wundert sich darüber, dass zwei so verschiedene Männer Freunde sind. Schon legen sich die muskulösen Finger des Professors auf die Schultern des Gekommenen, drücken in dessen weißen Kittel, als könnte eine fachmännischeMassage oder ein renkender Kunstgriff die Einsicht in das Problem vertiefen. Dann sinkt der Mediziner hinter dem Pharmazeuten in die Knie, sein Doppelkinn sackt neben den vogelartig mageren Hals des Besuchers. Fast sieht es aus, als wüchse nun ein zweiter, viel

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