Roman unserer Kindheit
Spaziergang in Augenschein genommen hat. Reicht ihm der Tisch? Reicht seine Platte für alle weiteren wesentlichen Orte? Vielleicht hat er sich gestern, im Furor der Ankunft, doch mit dem Erspüren der Verhältnisse vertan. Vielleicht war sein Forschen in den braunen Augen dieser pitschnassen Sybille zu ungeduldig, um die Begrenzungen des Raumes sauber und maßstabsgetreu unter ihren langen Wimpern hervorzuholen. Das wäre halb so schlimm. Falls der momentane Aufriss nicht stimmen sollte, wird er den Hobel aus dem Werkzeugkasten nehmen und seinen Küchentisch wieder so blank ziehen, wie er es halt für eine neue, bessere Skizze braucht.
Für mich ist Glauben alles. Mein erzfrommes Bisschen glaubte gleich mit dem ersten Blick, dass der Mann ohne Gesicht die Rechtecke stimmig und gültig in seinen Tisch gegraben hatte. Es passte genau. Es stimmt perfekt. Wiederum habe ich nichts dagegen, dass es so bleibt. Erneut soll die Zeichnung meinen kleinen Segen haben. Als unser Mann ohne Gesicht dann gegen Mittag zu einem längeren Rundgang aufbrach, zog es ihn gleich wieder zum Spielplatz. In Schleifen, den Kieswegen folgend, aber auch quer über die Wiesen, schritt er geduldig fast das ganze parkähnliche Gelände ab, steckte sogar an der einen oder anderen Stelle den Kopf ins Gebüsch. Hinter den Kettenschaukeln half ich ein wenig nach, damit er schneller auf den Trampelpfad fand, an dessen Ende er, durch dichtes Blattwerk lugend, die Kinder entdecken konnte. Sie spielten an einer Couch, die irgendjemand in dem Heckenrosengestrüpp, das sich den Hang hinunterzieht, einem letzten Freiluftschicksal überlassen hatte. Er pirschte näher, um ihr Reden zu verstehen, stellte sich schließlich hinter ein etwas stärkeres Stämmchen, um ungesehen zu bleiben.
Die Kinder kämpften mit der Kippmechanik des Polstermöbels. Wenn sie sich gegen die Lehne stemmten, ließ sich das Sofa flach klappen, bei Gegenzug sprang das Rückenteil wieder in die alte Position zurück. Nur die dritte Stellung, die seinen hohlen Bauch entdeckelt hätte, konnten sie einfach nicht erzwingen. Sie wollten aber unbedingt in diesen Unterkasten schauen. Der Mann ohne Gesicht erwog gerade, ob er hingehen und ihnen helfen sollte, da sah er, wie sie an den alten Zwillingskinderwagen traten, um sich mit ihrem Anführer zu beraten. Der dünne Junge mit dem bandagierten Bein hatte eine Idee, und ohne Zögern führten sie die anderen aus. Gemeinsam wurde eine Schmalseite des Sofasangehoben, die Zwillinge schlüpften unter das in Bauchhöhe gebrachte Eck und drückten von unten mit Köpfen und Händen. Das Mädchen machte es ihnen nach, die Jungen bekamen die langen Kanten des Möbels auf die Schultern und tippelten nach vorn, kurz stand das Sofa senkrecht, bevor es umgestürzt auf seine Lehne krachte.
Mit Juchzen wurde begrüßt, dass sich beim Aufprall endlich die Sitzfläche vom Unterkasten gehoben hatte. Schon waren alle am aufklaffenden Spalt, um nachzuschauen, was da eben beim Anheben die Schräge hinuntergepoltert und dann beim Umfallen herausgepurzelt war. Aber genauso schnell waren sie auch schon zurückgewichen. Der Junge mit dem weißbandagierten Bein, der Junge im geköpften Kinderwagen rief seinen Freunden zu, was sie denn hätten, was es Besonderes zu sehen gebe. Der Kräftigste der anderen, der, dem die Haare wie eine toupierte Mähne, wie eine Stummfilmfrisur vom Schädel standen, stemmte statt einer Antwort die Karre bis an die Couch, dorthin, wo ungeschützt im Gras lag, was in ihr verborgen gewesen war.
Nur wenig später sind die Kinder auf und davon. Das Rattern der überladenen Karre, deren Räder ab einem gewissen Tempo begannen, an die Schutzbleche zu schlagen, schwingt dem Mann ohne Gesicht noch durch den Kopf. Das Sofa reckt alle viere Richtung Himmel. Er geht hinüber, greift mit beiden Händen in den Winkel zwischen Sitzfläche und Lehne, stemmt das Möbel hoch und lässt es wieder auf seine Beinchen plumpsen. Erst jetzt sieht er auf der Wiese liegen, was vorhin aus dem Kasten gefallen ist. Er tut die fehlenden zwei Schritte und könnte nun, wo es fast an die Spitzen seiner Stiefel rührt, mit diesen dagegenstupsen, aber das lässt er lieber sein. Stattdessen macht er kehrt, durchbricht die Büsche,kreuzt die angrenzende Wiese diagonal, marschiert schnurstracks nach Hause, um seinen Klappspaten zu holen.
Auch in der Wohnung hält er sich nicht lang auf, öffnet bloß den Werkzeugkasten, packt das praktische kleine Grabgerät und wirft
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