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Roman unserer Kindheit

Roman unserer Kindheit

Titel: Roman unserer Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Klein
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seinem dämlichen Aus-der-Wäsche-Schauen passte, hat unser großer Bruder dann zu Hause an die Zwillinge weitererzählt. Zwei rettungslos Verrückte, die sich in der Irrenanstalt besonders gut vertragen haben und dort im Schlafsaal viele Jahre Bett an Bett gelegen sind, sterben am selben Tag. Gemeinsam treten sie vor den Himmelspförtner Petrus, der ihnen freundlich mitteilt, Gott verzeihe ihresgleichen besonders gern, weil Jesus während seines Erdenwandels ja gesehen habe, wie innig das simple Menschsein mit dem Wahnsinnverschwistert sei. Sie sollten ihm bloß noch schnell sagen, warum sie fast ihr ganzes Leben im Irrenhaus verbringen mussten. Er schreibe es in der gebotenen Kürze auf, damit es in den ewigen Akten seine letzte Ruhe finde. Danach seien sie aller Erdenbeschwernis ledig und auch die jeweilige Geisteskrankheit für immer los. Der eine gibt an, er sei in Obhut genommen worden, als er verraten habe, dass er in Wirklichkeit ein Pferd, und zwar nicht irgendeines, sondern ein muskelbepackter Brauereigaul sei. Der andere bekennt, ihn habe man schnurstracks weggesperrt, sowie er offenbarte, es handle sich bei ihm nicht, wie alle meinten, um einen Kellner, sondern um einen urig starken, zuglustigen Ochsen. Im Nu ist beides in der Spalte «Irdische Irrtümer» notiert, Petrus will eben «Aufgeklärt!» darüberstempeln, als er den Eindruck hat, den beiden liege noch etwas auf dem Herzen. «Unklarheiten? Wünsche? Frei heraus damit!» An dieser Stelle traten die Zwillinge gleich beim ersten Nacherzählen verlegen auf der Stelle und scharrten nachdrücklich mit unsichtbaren Hufen. Und schließlich fragte der eine Zwilling, wem denn der schöne, schwere Wagen gehöre, der voll mit Manna-Fässern draußen vor dem Eingang stehe. Der andere fügte hinzu, diese Karre würden sie beide wahnsinnig gern gemeinsam, Schulter an Schulter, Schweif neben Schwanz, die Wolken hinauf und hinunter, kreuz und quer über die himmlischen Straßen ziehen.
    Zweimal haben die beiden inzwischen probiert, den Witz auf ihre Weise zum Leben zu erwecken. Das erste Mal haben der Ami-Michi und der Wolfskopf kein bisschen gelacht, sondern bloß gefragt, was denn dieses Manna in den Fässern auf dem Wagen für ein Zeug sei. Der Schniefer, der immerhin kurz gekichert hatte, musste zugeben, dass er dies ebenfallsnicht wisse und den Witz eigentlich überhaupt nicht verstanden habe. Beim zweiten Versuch hatten sich die Zwillinge vorher bei der Mutter schlaugemacht und «Manna» durch «Himmelsbrot» ersetzt. Aber Sybille fand die beiden Irren trotzdem blöd, und ihre Schwester schrie gleich nach der Pointe wie am Spieß: «Das Schimmelbrot! Das giftige Himmelschimmelbrot!», so lang und schrill, bis Sybille sie kräftig an den Haaren zog, was meistens half, wenn die Kleine wieder einmal alle mit Herumgekreische nervte.
    Inzwischen, seit gestern Abend, ist Sybilles Schwester wirklich still. Annabett Böhm hätte dieses besondere Stillsein schon bei der Rückkehr in die Wohnung bemerken können, aber das Telefon funkte erneut dazwischen. Gerade als sie ihre Kleine im Licht der Küchenlampe fragen wollte, wo denn um Himmels willen ihre Sandalen und ihre Söckchen abgeblieben seien, klingelte der Apparat so schrill wie nie zuvor. Er klingelte Alarm. Sybille guckte erschrocken, als hätte sie vom Reststück dieses Tages nur weitere ungut heftige Überraschungen zu erwarten. Sie sah und verstand, auch ihre Mutter wollte partout nicht rangehen. Aber das Gerät gab keine Ruhe, bis Annabett Böhm schließlich doch noch den Hörer hochriss. Es war das Josephinium. Ob sie die Ehefrau des Patienten Gunther Böhm sei. Seit einer Stunde versuche man, sie zu erreichen, ihr Anschluss sei ja eine schiere Ewigkeit besetzt gewesen. Ein Sportunfall. Operiert würde gleich morgen in aller Frühe. Bloß keine Sorge. Der Herr Professor Felsenbrecher sei ein weit über die Stadt hinaus bekannter Spezialist für alles rund ums Knie.
    Sybille spürte eine große, Hals, Brust und Bauch erwärmende Erleichterung, als die Mutter ihnen am Küchentisch erklärte, warum der Vater heute nicht nach Hause kommenwürde. Sie hätte am liebsten hurra gerufen. Sie war so glücklich, dass sie sich Mühe geben musste, kein blödsinnig grinsendes Glücksgesicht zu machen. Annabett Böhm hatte sich vorsichtshalber ihre jüngere Tochter auf den Schoß gezogen. Sie wusste, mit welcher Äffchenliebe die Kleine an ihrem Vater hing. Ihr Ruhigsein, ihr stumpfes Glotzen war gewiss die Starre des

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