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Roman unserer Kindheit

Roman unserer Kindheit

Titel: Roman unserer Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Klein
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wird. Sein Stirnmetall meldet ihm als ein prima Messgerät, wie dieses Jagen näher kommt, wie es verharrt, sich wieder entfernt, um sich dann in abrupter Kehrtwendung erneut diesem Gelände zuzuwenden, ihrem momentanen Domizil, dem Unterschlupf, den er und Nichtchen in diesem riesigen, leeren Wirtshaus gefunden haben. Der Auf- und Abgalopp der unsichtbaren Jäger macht ihn, so lustig er auch ist, nun doch nervös. Er lenkt ihn arg vom Essen ab, was wirklich schade ist, weil ihn eben, als er das kalte Brathuhn auf der Anrichte entdeckte, ein famoser Hunger überraschthat. Drei saure Gurken hat sein Nichtchen ihm dazugelegt und eine große Scheibe Brot, ganz frisches Bauernbrot, pappig feucht, wie er es liebt. Nichtchen hat ihm befohlen, dass er nicht weiter vom Fleische fallen dürfe. Wenn es mit seiner Magerkeit so weitergehe, gebe er bald ein wandelndes Gerippe ab. Dahin soll es nicht kommen! Also volle Konzentration auf Beißen, Kauen, Schlucken! Reiß dich zusammen, Kommandant: Verputz den ganzen Vogel! Kommandant Silber schlingt das trockene weiße Fleisch hinunter. Sein Nichtchen soll zufrieden mit ihm sein. Obwohl es ihn nun mächtig nach oben an ein Fenster zieht, obwohl er messerscharf überlegt, ob er bei diesem Messingbett, an das er sich glücklich erinnern kann, eventuell ein Fernglas oder gar ein Periskop besitzt, zwingt er sich jetzt, das Brustbein des gebratenen Huhns blitzblank zu nagen.
    Befehl ist Befehl und bleibt Befehl. Das weiß der Kommandant so gut wie seine Kameraden. Sie waren fünf. Eine Besatzung eben. Und dann waren sie nur noch drei. Drei waren Rauch und Glut entkommen. Eigenhändig hatte der Kommandant zumindest zwei seiner Panzerfahrer lebend aus dem Feuer bergen können. Und auch die Toten hat er zuletzt, schon schwindlig vom Blutverlust, noch aus dem Wrack gezogen. Wo sind die beiden Geretteten nur abgeblieben? Obwohl sich ihre Namen zusammen mit ihren Gesichtern in diesem Denkmoment perfekt unter der Silberplatte zu verstecken wissen, ist er sich sicher, dass die Kameraden nicht sehr weit weg sind. Sie sind nicht tot. Sie waren beide schwer verletzt. Kommandant Silber kann sich lupenscharf an blutverschmierte Augen und an verbrannte Haut erinnern. Sie waren und sind nicht tot. Er muss sie suchen. Er wird sie finden, und der Grund, warum sie noch einmalgemeinsam ins Feld ziehen müssen, findet sich dann dazu. Gleich nachher geht die Suche los. Kann er denn noch Motorrad fahren? Oder ein Auto? Sind er und sein Nichtchen überhaupt motorisiert? Vielleicht kann man die Kameraden sogar zu Fuß erreichen. Er ist doch immer gut marschiert. Der Kommandant zerbeißt die dritte Essiggurke. Er leert das Glas, er trinkt es leer bis auf den Grund und leckt den letzten Tropfen von seinem dünnen Rand. Es hat geschmeckt! Was hat geschmeckt? Was ist im Glas gewesen? Kommandant Silber schluckt dem letzten Tropfen ein paarmal krampfhaft hinterher, ohne sich den verlorenen Geschmack zurückholen zu können. Er schickt die Zunge über die Lippen. Sie schleckt vergebens. Er schluckt und schluchzt. Das dumme, das trocken ergebnislose Schlucken schmerzt, er schluchzt und senkt den Kopf neben den Teller. Das alte Holz der Anrichte tut ihm mit seiner Kühle, mit seiner feinen Maserung gut. Kommandant Silber muss ein bisschen weinen.
    Das ganze Hin und Her, das Völlig-aus-dem-Aug-Verlieren, das bang werdende Suchen, das triumphale Doch-noch-Wiederfinden, das Rennen und das Reglos-Lauern, all das ist eine wunderbare Jagd geworden. Sogar die Kleinen, die einer nach dem anderen aufgeben mussten, weil die Verfolgung des türkisen Vogels sie so weit wie nie vom Hof wegführte, haben gespürt, dass sie an einer großen Sache Anteil hatten. Im Elsternhorst, genau vis-à-vis der Lichtburg, dürfen die Übriggebliebenen Atem holen. Der Sittich hat einen Schwarm junger, am Anfang dieses Sommers geschlüpfter Sperlinge entdeckt, die auf dem Flachdach des Kinos durcheinandertschilpten. Kaum dass er gelandet war, verstummten sie und fingen an, in einem merkwürdigen Eifer auf dem weißgetünchten Beton herumzupicken. Der Fremdling hat diessogleich mit hochwippenden Schwanzfedern nachgemacht, und nach und nach ist ihm gelungen, sich, trippelnd und buckelnd, zu den braungrauen Einheimischen zu gesellen. Inzwischen dulden sie ihn sogar in ihrer Mitte.
    Die Zwillinge fragen Sybille, ob sie denn eine Ahnung habe, was es dort oben für die Vögel aufzupicken gebe. Sybille antwortet mit finsterer Miene, da auf dem Kino, über

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