Roman
ein Vorbild.“
„Holla, die Waldfee! Wie spießig ist das denn?“
„Mir wird ja schon schlecht, wenn ich im Hallenbad auf dem Ein-Meter-Sprungbrett stehe“, gestand Kristina.
Sandra gab ihr einen leichten Klaps auf den Po. „Ich seh schon, du bist genau die richtige Kandidatin. Du musst mal raus aus deiner Schwerkraft, den Boden unter den Füßen verlieren, deine Grenzen sprengen.“
„Ich fühl mich aber ganz wohl in meinen Grenzen und auf festem Boden“, erwiderte Kristina.
„Ach, diesen Drang nach absoluter Sicherheit finde ich irgendwie lustfeindlich“, meinte Sandra. „So, jetzt bist du dran.“
Damit tauschten sie die Rollen. Sandra streckte sich auf der Liege aus, Kristina übernahm die Massage und suchte nach Verspannungen in Sandras Rücken.
„Und was ist das da?“, fragte sie dann und drückte auf den Knoten in Sandras Rücken. „Entspann dich, lass dich endlich fallen, lass mal los.“
Sandra lachte leise. „Erwischt. Wir haben eben alle unser Päckchen zu tragen. Wie heißt denn deines? Ist bestimmt ein Kerl, oder?“
Auch Kristina musste lachen und spürte, wie ihr mit einem Mal warm ums Herz wurde. „Müssen es immer Kerle sein?“
„Wenn die es nicht sind, ist es die Verwandtschaft oder der Chef“, antwortete Sandra. „Aber deine Massage ist jedenfalls echt gut.“
Während Kristina mit Sandras Rückseite beschäftigt war, dachte sie an Tom. War sie bloß von ihm fasziniert, weil er jung war, oder hätte sie ihn auch interessant gefunden, wenn er älter gewesen wäre? Sie konnte es drehen und wenden, wie sie wollte, aber das Resultat blieb immer dasselbe: Sie hatte sich in Tom verliebt. Und das hatte nichts damit zu tun, dass er jünger war. Sie hatte sich in ihn verliebt, weil er so war, wie er war: sensibel und einfühlsam, zärtlich und leidenschaftlich, hingebungsvoll und kreativ, kunstsinnig und stilvoll, belesen und gebildet, fröhlich und humorvoll, ein Knaller und ein Jackpot. Viel zu perfekt. Wo war, mal abgesehen vom Altersunterschied, der Haken? Ob Liebe blind machte? Bestimmt, dachte Kristina.
„Fertig“, sagte sie schließlich und gab Sandra einen leichten Klaps. „Und jetzt?“
Sandra, die in Frankfurt wohnte, schlug Kristina vor, nach dem Kurstag gemeinsam Abend essen zu gehen. „Ist doch netter, als alleine im Hotel zu hocken, oder?“
„Logisch“, stimmte Kristina erfreut zu. Sie hasste einsame Abende auf dem Hotelzimmer.
„Stört dich doch nicht, wenn mein Mann mitkommt? Paul holt uns hier ab.“
Kurz darauf fuhr ein uralter Volvo vor, und Paul stieg aus. Kristina schluckte. Paul war höchstens so alt wie sie, Sandra dagegen bestimmt schon 60. Wie das Schicksal so spielt, dachte sie und setzte sich ins Auto. Paul und Sandra hatten sich für ein typisch hessisches Lokal entschieden, in das sie mit Kristina gehen wollten.
„Keine Sorge, da gibt’s mehr als ’nen Bembel Ebbelwoi“, erklärte Sandra fröhlich.
„Mir ist alles recht“, meinte Kristina. „Ich nehm auch ’nen Bembel.“
Der Abend zu dritt entwickelte sich bei diversen Gläsern Wein dann auch recht munter, und Kristina erfuhr, dass die beiden seit 15 Jahren ein Paar waren.
„Das war vielleicht ein Aufruhr, als ich damals mit diesem Jüngelchen antanzte“, erzählte Sandra. „Ich, eine ältliche Matrone, schnappt sich einen so knackigen Burschen. Wo die Liebe hinfällt, nicht wahr, Paul?“ Sie küssten sich.
„All diese Spießer hielten uns für bekloppt“, sagte Paul. „Was willst du mit so ’ner alten Schrippe?, haben mich meine Freunde gefragt und Sandra als Sugarmummy abgestempelt.“
„Stimmte ja auch. Schließlich habe ich dein Studium finanziert“, erklärte Sandra vergnügt. „Da musstest du mir ja wenigstens mit deinem Körper zur Verfügung stehen, oder?“
Paul schmunzelte. „Sie riskiert mal wieder eine dicke Lippe“, sagte er, an Kristina gewandt, „aber so selbstbewusst war sie anfangs gar nicht.“
„Kann ich gut verstehen“, gestand Kristina.
„Es kann nicht sein, was nicht sein darf“, flötete Sandra.
„Wir wurden damals der Einfachheit halber wie Gesetzesbrecher behandelt. Es war ungefähr so, als hätten wir erbittert für Millionenabfindungen zugunsten von Managern oder für Steuererleichterungen für Großverdiener gestimmt“, berichtete Paul, während er Sandra schmachtende Blicke zuwarf. „Dabei wollten wir doch nur eins: Liebe.“ Die beiden prusteten los.
Sandra schlug sich auf die Schenkel und wiederholte: „Genau,
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