Roman
Gedanken an den gestrigen Tag und an Sophie wieder einschleichen wollten, schob Kristina sie bewusst beiseite. Im Moment konnte sie sowieso nichts an der Situation ändern. Heute wollte sie mit Tom in dessen 30. Geburtstag hineinfeiern. Und diese Party würde sie ihm nicht vermiesen. Sie war gespannt, was der Abend mit seinen Freunden bringen würde. Wenigstens würde Rita ja an ihrer Seite sein. Ein bisschen Schützenhilfe im Angesicht all dieser Jugend konnte nicht schaden.
„Du siehst phantastisch aus“, begrüßte Tom sie, als Kristina lange vor Beginn der Party in Fabians Haus am See auftauchte, in dem das Fest stattfinden sollte.
Sie staunte darüber, was Tom inzwischen alles auf die Beine gestellt hatte. Stehtische, Holztische und Bänke waren am Seeufer und auf dem Steg aufgestellt worden. Teller, Besteck, Gläser und Servietten waren einsatzbereit. Sogar an Blumen hatte er gedacht. Das Essen hatte er bei einer Cateringfirma bestellt.
„Eine Frau brauchst du dafür zumindest nicht“, meinte Kristina beeindruckt.
„Ich bin emanzipiert“, erwiderte er mit einem Grinsen, „das solltest du allmählich gemerkt haben. Champagner?“
Sie nickte, griff sich ein Glas und hielt es ihm hin. Tom nahm eine Flasche aus einem großen Eiskübel, entkorkte sie mit einem leisen Ploppen und goss ein.
„Auf dich“, sagte Kristina und stieß mit ihm an.
„Auf uns“, berichtigte er sie. „Wir feiern heute ja auch ein kleines Jubiläum.“
Kristina zog die Brauen hoch.
Er beugte sich vor und küsste sie. „Wir sind seit drei Monaten ein Paar.“
„Wirklich?“ Schnell rechnete sie im Geiste nach. Er hatte recht. Ende Mai hatte Philipp ihn zum Essen mitgebracht, und jetzt war es bereits August. „Mir kommt es vor, als wäre das alles erst vor wenigen Tagen geschehen. Und dabei ist in den vergangenen Wochen so viel passiert.“
„Stimmt. Und ich hoffe, dass es noch lange so bleibt“, gab Tom zurück und sah sie verliebt an.
„Trotz all der Probleme?“
„Ich habe keine Probleme.“
„Na ja, ich meine das Theater, das meine Familie da veranstaltet.“
„Deine Familie braucht halt etwas länger, um sich daran zu gewöhnen.“ Er legte den Arm um ihre Taille. „Das wird sich mit der Zeit alles einrenken.“
Sie setzten sich auf die Bank, die vor dem kleinen Haus stand.
„Wann lerne ich eigentlich deine Familie mal kennen? Du erzählst ja nie was“, bemerkte Kristina. „Meinst du, deine Verwandten reagieren genauso bescheuert?“
„Wer weiß? Aber bei mir ist das viel komplizierter. Meine Mutter ist eine Vagabundin. Ständig unterwegs, bloß nirgends sesshaft werden. Das war schon früher so. Mein Vater war Vater und Mutter in einem. Du hättest ihn gemocht.“
„Wann ist er gestorben?“
„Vor zehn Jahren. Ein Autounfall.“
„Deine Mutter kommt heute nicht, oder?“
„Sie hat natürlich auch heute Abend etwas Wichtigeres vor.“
„Hör ich da einen Vorwurf heraus?“, hakte Kristina nach.
„Nein … Ach, ich weiß nicht. Manchmal wünsche ich mir nur, sie wäre ein bisschen normaler.“
„Und was ist mit Geschwistern?“
„Ich habe eine Schwester. Oder besser gesagt, eine Halbschwester. Sie lebt in den USA. Wir sehen uns nicht so oft, aber wir telefonieren und mailen regelmäßig. Und sie brennt darauf, dich kennenzulernen.“ In dem Moment ertönten Motorengeräusche auf der Straße. Tom sprang auf. „Die ersten Gäste kommen. Nicht weglaufen. Ich bin gleich wieder da.“
Kristina blieb sitzen und wartete darauf, was auf sie zukommen würde. Sie entspannte sich, als sie sah, dass Tom mit Fabian zurückkam. Kurz darauf tauchten Sebastian und Amanda auf, und nach und nach trudelten die weiteren Gäste ein. Wenig später tummelten sich die Menschen auf dem Steg und am Ufer. Einige hatten Badesachen dabei und nutzten die sommerlichen Temperaturen zu einem Bad im See. Kindergeburtstag eben, dachte Kristina amüsiert. In diesem Gewimmel hatte sie Tom bald aus den Augen verloren. Als Gastgeber musste er sich natürlich um jeden Neuankömmling kümmern. Sie schaute immer wieder zu dem kleinen Tor vor dem Steg. Sehnlichst erwartete sie Rita. Doch diese hatte es offenbar ernst gemeint, als sie angekündigt hatte, als Letzte auf dem Fest aufzukreuzen.
Schließlich traf Philipp ein, und sie unterhielt sich eine Weile mit ihrem Sohn. Er schien noch nichts von Sophies Watergate gehört zu haben. Und Kristina schwieg zu diesem Vorfall. Eine Party war nicht der richtige Ort, um Probleme
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