Roman
beschloss, sich Ritas Rat zu Herzen zu nehmen und sich besonders hübsch für den Abend zu machen. Als sie mit dem Rad an einem Kosmetikgeschäft vorbeikam, trat sie so abrupt auf die Bremse, dass ihr Vorderrad blockierte und sie fast hinfiel. In letzter Sekunde fing sie sich und kam zum Stehen. Mit noch etwas wackligen Beinen betrat Kristina das Geschäft und wurde von einem jungen Mann empfangen.
„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte er und strahlte sie an.
Er hatte gezupfte Augenbrauen und eine makellose Haut. Als er die Hände vor die Brust hielt, konnte sie seine perfekt manikürten Finger bewundern. Kein Zweifel, er war besser gepflegt als sie selbst.
„Äh … ich wollte … Ich dachte, ich bräuchte …“, stammelte sie verwirrt.
Er musterte ihr Gesicht. „Darf ich etwas empfehlen?“
Kristina nickte ergeben.
„Womit pflegen Sie Ihre Haut denn jetzt?“
„Och, mit nichts Speziellem“, gestand sie ihm.
Er nickte wissend. „Dann lassen Sie uns mal Ihr persönliches Beauty-Paket zusammenstellen. Sie brauchen auf jeden Fall eine abschwellende Augencreme“, sagte er und griff zielsicher ins Regal. „Dazu einen Concealer.“
„Eigentlich wollte ich nur …“
Blitzschnell zauberte der Verkäufer einen Spiegel hervor und hielt ihn Kristina vor die Nase. Erschrocken von dem, was sich ihr in dem Vergrößerungsglas präsentierte, wich sie zurück. Kratertiefe Poren, umrahmt von einem Adergeflecht wie bei einem schweren Trinker, dazu dicke Lider à la Axel Schulz. War das etwa ihr Spiegelbild? Das ist bestimmt nur ein ganz fieser Trick, irgendeine optische Täuschung, dachte Kristina. Sie sah erneut hinein, dann legte sie den Spiegel entsetzt auf den Tresen.
Zufrieden registrierte der junge Mann ihre Reaktion, nahm einen kleinen Einkaufskorb und legte den Abdeckpinsel hinein. „Das hier hilft gegen Schlupflider“, sagte er, und wieder landete etwas im Korb. „Das hier lindert Couperose, und das deckt die größer werdenden Poren ab.“
Kristina hatte das Gefühl, unter seinem strengen Blick zu schrumpfen, als er nun konzentriert ihr Gesicht studierte.
„Für die Fältchen um die Lippen sollten Sie eine kollagenhaltige Tagescreme mit lichtreflektierenden Nanopartikeln verwenden“, erklärte er weiter. „Sonne ist ja Gift für die reife Haut. Und darüber tragen Sie am besten dieses Make-up auf.“ Das kleine Körbchen füllte sich um ein weiteres Schönheitsprodukt.
Kristina schluckte. Reife Haut, Schlupflider, Schrumpellippen. Wo war sie hier nur hineingeraten?
Der Verkäufer kontrollierte den Einkaufskorb. „Ich denke, das dürfte fürs Erste genügen. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“ Er schenkte ihr ein Lächeln.
Ein neues Leben vielleicht, dachte Kristina und schüttelte stumm den Kopf.
Der Mann nickte zufrieden. „Dann darf ich Sie bitten, mich zur Kasse zu begleiten.“ Damit tänzelte er zur Kasse, an der ein junges Mädchen alle Produkte aus dem Korb nahm und die Preise eingab.
„Ach, das hätte ich fast vergessen“, meinte der Verkäufer und sauste davon. Kurz darauf kam er mit einem weiteren Karton zurückgeschwebt. „Das ist eine Maske. Die tragen Sie zuerst auf. Zehn Minuten Einwirkzeit genügen. Danach strahlt Ihre Haut wie ein Pfirsich. Jetzt ist Ihr Anti-Aging-Programm komplett.“
Das Mädchen gab den Preis ein. „327 Euro.“
Kristina schluckte. 327 Euro – nur zum Einschmieren? Am liebsten hätte sie dem Kerl alles vor die Füße geworfen, aber sie traute sich nicht. Stattdessen suchte sie nach ihrem Geldbeutel. Sie hatte nicht genug Bargeld dabei und legte ihre EC-Karte auf den Tresen. Mit ihrer Einkaufstüte, prall gefüllt mit den Bestandteilen ihres neuen Beauty-Pakets, verließ sie kurz darauf das Kosmetikgeschäft, schwang sich aufs Rad und fuhr nach Hause. Über 300 Euro hatte sie der kurze Ausflug in die Kosmetikoase gekostet. Alt werden ist teuer, dachte sie grimmig.
Zu Hause packte sie ihre Errungenschaften aus den Kartons, studierte die Anwendungsbeschreibungen und legte zuerst die Maske auf. Nach und nach arbeitete sie sich durch ihr neues Kosmetikprogramm. Eine Stunde später hatte sie ihr Werk vollendet. Zufrieden betrachtete sie sich im Spiegel. Die Fältchen waren zwar immer noch da, aber sie sah gut aus. Daran bestand kein Zweifel. Die Restaurierung der Mumie hat gewirkt, dachte sie und zog eine Grimasse. Zur Hölle mit den Falten. Der Frischhalteversuch war gelungen. Für die Tarnkappe war es definitiv noch zu früh. Als sich die
Weitere Kostenlose Bücher