Roman
Bezug glatt. „Wenigstens du entfaltest dich.“ Erneut seufzte sie. „Weißt du, Liebeskummer, Trennungen und Herzschmerz sollten nicht im Sommer, sondern nur im Herbst stattfinden dürfen, am besten im November. Wer braucht denn dazu noch Sonne und Vogelgezwitscher? Ich will tiefhängende Wolken, die den Himmel verdunkeln, und es soll schütten, als würde die Welt untergehen, und alle sollen schlechte Laune haben. Verstehst du, Jopi?“ Sie tätschelte das Kissen und antwortete sich selbst: „Ja, du verstehst mich.“
Kurz darauf schlurfte sie ins Bad, löste eine Aspirin in einem Wasserglas auf und trank die Brühe in einem Schluck leer. Danach duschte sie ausgiebig. Die Kopfschmerztablette fing langsam an zu wirken. Kristina zog sich an und legte ein leichtes Make-up auf. Dennoch zeigte der Spiegel eine Frau, der nicht einmal sie selbst begegnen wollte.
Anschließend ging sie in die Küche, öffnete den Kühlschrank – und blickte in eine gähnende Leere. So kann es nicht weitergehen, beschloss sie im Stillen. Ab heute musste Schluss sein mit den trüben Tagen. Tom war passé, und sie war bereits viel zu lange durchs Jammertal gewandert.
„Jetzt reicht’s!“ Mit Schwung warf sie den Kühlschrank zu. „Mir geht es gut, das Leben ist schön“, murmelte sie, während sie die Treppe hinunterging und das Haus verließ.
Energisch schwang sie sich aufs Fahrrad und fuhr los in Richtung Innenstadt. Dort würde sie sich in einem hübschen Straßencafé in die Sonne setzen, frühstücken und dabei die Süddeutsche lesen. Und danach würde sie gemütlich shoppen gehen. „Mir geht es gut, das Leben ist schön“, wiederholte sie ihr persönliches Mantra auf der Fahrt in die Stadt. Wenn man sich das lange genug einredete, glaubte man es am Ende wirklich – das hatte Rita ihr versprochen. Kristina bog in die Maximilianstraße ein, machte kurz an einem Zeitungskasten halt, um sich ein Exemplar herauszuholen, und fuhr dann weiter in die Fußgängerzone. Dort stellte sie das Rad ab, schloss es ab und schlenderte los.
In der Nähe des Marienplatzes entdeckte sie einen leeren Tisch in einem Café. Mit jeder Minute fühlte Kristina sich besser. Es war eine gute Idee gewesen, das Schneckenhaus zu verlassen. Der Kellner kümmerte sich aufmerksam um sie. Offensichtlich war das kein Treffpunkt für Singles, aber das störte sie an diesem schönen Samstagmorgen nicht im Geringsten. Sie genoss ihr Frühstück im Freien – und noch mehr, dass ihr alles gebracht wurde und sie sich um nichts sorgen musste. Beim Essen las sie in ihrer Zeitung und hob nur gelegentlich den Blick, um die Menschen zu beobachten, die kamen oder gingen. Sie ließ sich Zeit, nichts zwang sie zur Eile. Schließlich hatte sie nichts anderes vor und keine Verabredungen an diesem Wochenende.
Nach dem Frühstück bummelte sie durch die Fußgängerzone und kaufte sich ein Paar hochhackige Jimmy-Choo-Pumps, die zwar reduziert, aber immer noch astronomisch teuer waren. Und ob sie jemals darin unfallfrei laufen konnte, stand in den Sternen. Doch ihr war irgendwie danach gewesen. Wenig später kaufte sie sich in einer Parfümerie noch einen neuen Duft. Sie sah sich die Schaufenster an und ließ sich einfach treiben.
Plötzlich erstarrte Kristina zur Salzsäule. Sie hatte ihn entdeckt. Tom. Und an seiner Seite dieses Weib mit der schwarzen Mähne.
Der Morgen hatte so wunderbar begonnen – und nun das. Wenn Rita nur hier wäre, dachte sie unglücklich. Rita hätte gewusst, was jetzt zu tun war. Wahrscheinlich hätte sie sich um die eigene Achse gedreht und die Einkaufstüten wie beim Hammerwerfen weggeschleudert, um damit Tom und seine Begleitung niederzumähen. Ja, Rita, die war mutig. Und was tat Kristina? Stand starr vor Schreck da und duckte sich, damit er sie bloß nicht sah.
„Hallo Frau Schuster“, ertönte hinter ihr eine vertraute Stimme – wobei Kristina allerdings nicht einfiel, woher sie sie kannte. „Dass ich Sie hier treffe. Wie schön!“
Sie wirbelte herum und schaute direkt in ein strahlendes Lächeln. Es gehörte Justus Claussen, ihrem sportbegeisterten Patienten und hartnäckigen Verehrer. Er war von Kopf bis Fuß in Grün gekleidet, trug Kniebundhosen und hatte sich ein Fernglas um den Hals gehängt.
„Hallo Herr Claussen“, erwiderte sie. Ihr Blick blieb auf seinem kunstvoll zurechtgelegten Haar ruhen, das seinen kahl werdenden Oberkopf kaschieren sollte.
„Ich komme gerade vom Jagen“, erzählte er. „Und Sie? Machen Sie
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