Romana Exklusiv 0186
keine Rolle. Außerdem war es Davids Entscheidung, es ging um sein Leben. Habe ich das Recht, ihm zu verbieten, seinen Großvater zu besuchen?, überlegte sie gequält und voller Zweifel.
„Fährst du mich bitte zurück?“, bat sie Enrique angespannt. „Ich will vor David in der Pension sein.“
„Was wirst du ihm sagen?“
Cassandra blickte ihn verbittert an. „Nur die Wahrheit“, erwiderte sie kühl.
5. KAPITEL
Die meisten Geschäfte und Boutiquen in Punta del Lobo waren über Mittag geschlossen und wurden erst wieder um vier oder fünf Uhr geöffnet. Und dann konnte man bis in die Abendstunden einkaufen.
Alles wirkte sehr normal an diesem Nachmittag. Doch Cassandra war klar, dass nichts mehr so war wie zuvor.
Erleichtert stellte sie fest, dass der Wagen, den die Kaufmans gemietet hatten, vor der Pension stand. Sie wusste jedoch noch nicht, wie sie David erklären sollte, dass sie ausgerechnet mit dem Mann weggefahren war, den sie bisher so unfreundlich und wie einen Gegner behandelt hatte. Der Junge würde sie sicher fragen, warum sie ihm die Verabredung mit Enrique verschwiegen habe. Dass sie gar nicht mit ihm verabredet gewesen war, würde er ihr nicht glauben.
Irgendwie hätte er damit sogar recht, denn sie hatte schon vermutet, Enrique würde sie und ihren Sohn nicht in Ruhe lassen. Deshalb hatte sie ja auch versucht, eine andere Unterkunft zu finden.
Die Kaufmans standen vor der Pension, und Cassandra seufzte. Es wäre ihr lieber gewesen, Enrique hätte nicht gewusst, dass David wieder da war. Dann wäre er vielleicht sogleich weitergefahren.
Schließlich atmete sie tief aus. Was für ein naiver Gedanke, sagte sie sich. Enrique wollte David sehen, und er würde sicher erst dann nach Hause fahren, wenn er mit ihm gesprochen hatte.
Enrique parkte den Wagen vor dem Tor, und Cassandra stieg mit einem unguten Gefühl aus. Wo war David? Vielleicht ist er auf sein Zimmer gegangen, beantwortete sie sich die Frage selbst und wanderte über den kiesbedeckten Weg. Enrique folgte ihr.
Cassandra war plötzlich zutiefst beunruhigt. Aus den Mienen der Kaufmans schloss sie, dass etwas passiert war.
„Sie sind früh zurückgekommen“, erklärte sie höflich und beherrscht. „Es tut mir leid, dass ich nicht hier war, als …“
„Mrs. de Montoya!“ Franz Kaufman ging auf sie zu. „Ich muss Ihnen etwas … Schlimmes mitteilen.“
„Was ist geschehen? Was ist mit David?“, rief sie aus. Panik breitete sich in ihr aus.
„Beruhige dich“, forderte Enrique sie auf, ehe er sich an Franz Kaufman wandte. „Wo ist der Junge?“
Der Mann blickte ihn und Cassandra besorgt an. „Ich weiß es nicht“, gab er unglücklich zu, und Cassandra griff instinktiv nach Enriques Arm. „Er ist verschwunden.“
„Verschwunden?“ Cassandra wurde blass. „Was soll das heißen? Haben Sie nicht auf ihn aufgepasst?“
„Cassandra, lass uns doch bitte erst einmal zuhören, was Mr. Kaufman uns erklären will“, forderte Enrique sie ruhig auf. „Es bringt doch nichts, jemandem Vorwürfe zu machen, solange wir nichts Genaues wissen.“
„Es tut mir so leid, Mrs. de Montoya“, sagte Franz Kaufman, während seine Frau und Horst sich auch zu ihnen gesellten. „Wir sind in den Freizeitpark in Ortegar gefahren. Die beiden Jungen wollten im Wellenbad schwimmen.“
„Und?“, fragte Enrique ungeduldig.
Sogleich fuhr der Mann fort: „Es waren viele Kinder in dem Swimmingpool, und als wir David zuletzt gesehen haben …“
„Zuletzt?“, fragte Cassandra leise und klammerte sich so fest an Enriques Arm, dass sich ihre Fingernägel in seine Haut gruben. Er warf ihr einen mitfühlenden Blick zu.
„Er hat so zufrieden gewirkt“, erklärte Franz Kaufman hilflos. „Meine Frau und ich waren uns sicher, wir könnten die beiden kurz allein lassen und einen Kaffee in der Cafeteria trinken.“
„Sie haben die Kinder allein gelassen?“, wiederholte Cassandra bestürzt.
„Es war wirklich nicht unsere Schuld“, mischte Horsts Mutter sich ein. „Horst hat gesagt, David hätte auf die Wasserrutschbahn gehen wollen. Horst hatte dazu keine Lust.“ Sie zuckte die Schultern. „Und dann ist David nicht zurückgekommen.“
„O nein!“, rief Cassandra aus. Ihr wurde übel. Sie hatte geglaubt, es könne nicht noch schlimmer werden. Offenbar hatte sie sich getäuscht. Vielleicht kämpfte er jetzt um sein Leben. Sie hielt den Atem an. Was sollte sie nur tun?
Als sie aufschluchzte, drehte sich Enrique, der den Kaufmans noch
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