Romana Exklusiv 0186
findest du es ja noch heraus. Momentan interessiert mich eigentlich nur, wie dein Sohn Mendoza, meinem Mitarbeiter, sein Auftauchen erklärt hat.“
Beschämt gestand Cassandra sich ein, dass sie sekundenlang vergessen hatte, weshalb sie mit Enrique unterwegs war. Dass sie den Ort kennenlernen würde, wo Antonio geboren und aufgewachsen war, konnte sie kaum glauben. Sie hatte nie herkommen wollen, denn seine Familie hatte sie damals abgelehnt, und so war es immer noch. Nur David war hier willkommen, seine Mutter jedoch nicht.
Sie fuhren durch ein schönes Dorf, das an einem Hang lag.
Hinter Zypressen und Pinien ragte die Kirchturmspitze empor, und die Straße zwischen den hübschen weißen Häusern war sehr eng.
„Wie heißt der Ort?“ Cassandra war aufgefallen, dass die Leute auf der Straße ihn grüßten. Die älteren Männer, die Pfeife rauchend im Schatten der mit blühenden Pflanzen geschmückten Balkone saßen, hoben die Hand zum Gruß. „Sind wir schon in Tuarega?“
„Nein, in Huerta de Tuarega“, antwortete er nach sekundenlangem Zögern. Dann beugte er sich nach vorn zur Windschutzscheibe und sah nach oben. „Da drüben ist der Palast.“
Der Palast?, dachte Cassandra. Das riesige Gebäude, auf das er gezeigt hatte, stand oberhalb des Tales und war von Feldern, Olivenbäumen und Obstplantagen umgeben. Eine kurvenreiche Straße führte hinauf zu dem Palast. Er sieht aus wie eine mittelalterliche Festung, überlegte Cassandra. Wie hatte David es nur wagen können, unangemeldet und uneingeladen hierherzukommen?
„Entspricht er deinen Erwartungen?“, fragte Enrique spöttisch.
Sie blickte ihn verblüfft an. „Ich habe doch nichts erwartet. Ich hatte keine Ahnung, dass ihr in einem Palast lebt.“
„Nein?“ Seine Stimme klang ironisch. „Antonio hat dir doch sicher erzählt, wie und wo er aufgewachsen ist, oder etwa nicht?“
„Ja, auf einem Landgut, das Tuarega heißt, mehr weiß ich nicht. In England gibt es kleinere und größere Landgüter, aber sie sehen selten aus wie ein Palast“, erwiderte sie.
Enrique sah sie nachdenklich an. Dann zuckte er die Schultern. „Okay, ich glaube dir. Aber es gibt in Spanien viele alte Gebäude, die man Palast nennt oder die so aussehen. Tuarega ist in Wirklichkeit nur ein großes Landhaus, finde ich.“
Cassandra schwieg. Ob Tuarega ein Palast war oder nicht, war ihr egal. Es war jedenfalls anders als alles, was sie kannte. Beim Näherkommen entdeckte sie die Türme und Zinnen. Der Einfluss der maurischen Architektur war unverkennbar.
„Es ist sicher sehr alt“, sagte sie steif. Irgendwie fürchtete sie sich vor dem Moment, wo sie aussteigen und in den Palast gehen musste.
Enrique nickte. „Teilweise. Man hat im Lauf der Jahre einiges verändert und hinzugefügt. Jetzt ist es eine Mischung verschiedener Baustile.“
So hätte Cassandra es nicht ausgedrückt, dazu fand sie den Palast viel zu schön. Sie hatte den Eindruck, dass Enrique trotz seiner etwas abfälligen Bemerkung stolz auf sein Zuhause war.
Als sie an einer Weide vorbeifuhren, hoben die Stiere, die dort grasten, die Köpfe und beobachteten das Auto. Es waren große, kräftig wirkende Tiere mit gefährlich aussehenden Hörnern. Ich würde ihnen bestimmt nicht zu nah kommen, dachte Cassandra.
Sie war froh, dass sie in Punta del Lobo noch nicht gewusst hatte, worauf sie sich einließ, sonst wäre sie vielleicht gar nicht mitgekommen.
Doch, das wäre ich auf jeden Fall, denn immerhin ist mein Sohn hier, korrigierte sie sich sogleich.
6. KAPITEL
In der Empfangshalle des Palasts kam Enrique und Cassandra ihr Sohn entgegen. Er blieb unvermittelt stehen. Offenbar hatte er nicht damit gerechnet, seiner Mutter hier zu begegnen. Irritiert überlegte Enrique, ob der Junge überhaupt darüber nachdachte, was er Cassandra antat.
„Mum“, begrüßte er sie und zog die Mundwinkel nach unten. Dann blickte er Enrique an, und sogleich änderte sich seine Miene. „Hallo, Enrique.“ Er lächelte seinen Onkel freudestrahlend an. „Ich habe schon auf dich gewartet.“
Cassandra sagte gar nichts. Das bedrückende Schweigen, das auf einmal herrschte, wurde durch den älteren Mann unterbrochen, der hinter David auftauchte.
„Señor de Montoya!“, rief der Mann aus. „Es tut mir leid, aber der Junge …“
„Es ist okay“, unterbrach Enrique ihn und lächelte. „Natürlich will David unbedingt seine Mutter begrüßen und sich für sein Benehmen entschuldigen. Das stimmt doch, David,
Weitere Kostenlose Bücher