Romana Exklusiv 0197
Lysan sich Enricos Nähe allzu sehr bewusst. Daher musste sie sich unbedingt ablenken. „Wissen Sie, wie die beiden Vulkane heißen?“, fragte sie, nur um etwas zu sagen.
„Der kegelförmige links ist der Osorno, der ohne Kuppe rechts heißt Calbuco. Wenn Sie möchten, fahren wir morgen hin.“
Er würde also noch nicht zurückfliegen! Lysan konnte es kaum glauben. „Ja, wie Sie wollen“, erwiderte sie betont gleichgültig, obwohl sie vor Freude fast außer sich war. „Der Calbuco sieht arg zugerichtet aus.“
„Das kommt von der Lava“, antwortete Enrico leicht spöttisch.
Abends beim Dinner stellte Lysan erstaunt fest, wie hungrig sie war. „Das liegt wahrscheinlich daran, dass man hier später isst als bei uns und ich immer so lange aufs Essen warten muss“, versuchte sie ihren außergewöhnlichen Appetit zu erklären.
„Erzählen Sie mir doch etwas von sich, wie Sie aufgewachsen sind, von Ihrem Elternhaus und so“, forderte er sie freundlich auf.
Sie schaute ihn nachdenklich an und kam zu dem Schluss, dass es keine leere Phrase war. Er schien sich wirklich dafür zu interessieren, mehr über sie zu erfahren. „Das Haus meiner Eltern ist nicht so groß wie Ihres, aber trotzdem sehr geräumig. Es bietet genug Platz für uns alle.“
„Und Ihr Verlobter? Wohnt er woanders?“, fragte Enrico beiläufig und tat so, als wäre das Etikett auf der Flasche Wein, die er bestellt hatte, viel wichtiger als ihre Antwort.
„Er besitzt ein eigenes Haus, in dem sie alle zusammen gewohnt haben, bis …“ Lysan verstummte, denn ihr fiel plötzlich auf, dass sie sich innerlich schon sehr weit von Noel entfernt hatte. Sie dachte daran, wie sehr sie ihn verletzen würde, und wünschte, Enrico hätte ihn nicht erwähnt.
„Was wollten Sie sagen?“ Der Wein war wohl doch nebensächlich und viel unwichtiger, als Enrico sie glauben machen wollte.
„Ach, das habe ich schon wieder vergessen.“
„Sprechen Sie nicht gern über Ihren Verlobten?“ Er runzelte die Stirn.
„Nein!“
„Ist es Ihnen zu persönlich?“
Warum ließ er das Thema nicht fallen? „Natürlich ist es mir zu persönlich!“, erwiderte sie. Du liebe Zeit, schließlich werde ich Noel heiraten, fügte sie insgeheim hinzu. Aber das stimmte nicht mehr, sie hatte sich doch entschlossen, die Verlobung zu lösen, wie ihr sogleich einfiel. Am liebsten hätte sie es Enrico anvertraut, doch sie hatte das Gefühl, dass Noel es als Erster erfahren musste. „Können wir uns über etwas anderes unterhalten?“
„Warum?“
„Ich möchte lieber nicht …“
„Sie möchten nicht über Ihren Verlobten reden, wenn Sie mit einem anderen zusammen sind?“ Seine Stimme klang leicht gereizt, und Enrico stellte das Weinglas so heftig auf den Tisch, dass es leise klirrte.
Verblüfft überlegte Lysan, weshalb er plötzlich so aggressiv war. „Ja, so kann man es ausdrücken!“, fuhr sie ihn ärgerlich an.
„Halten Sie es mit Ihren Freunden immer so? Wenn Sie mit dem einen zusammen sind, wollen Sie nicht an den anderen erinnert werden?“
„Sie hören sich wirklich nicht wie ein Freund an, sondern eher wie ein Feind“, warf sie ihm an den Kopf.
„Erschießen Sie mich doch!“
„Es wäre viel zu schade um die Kugel.“ Sie war zornig, und der Appetit war ihr vergangen. „Ich bin doch nicht so hungrig, wie ich gedacht habe“, erklärte sie und legte die Serviette auf den Tisch. „Entschuldigen Sie mich bitte“, fügte sie hinzu und stand auf.
„Gute Nacht, Señorita“, sagte Enrico kühl und erhob sich ebenfalls.
Es klang so endgültig, dass Lysan Tränen in die Augen traten. Schweigend drehte sie sich um und ließ ihn allein. In ihrem Zimmer fragte sie sich ernsthaft, warum sie sich schon wieder die Augen ausweinte, obwohl sie eigentlich nicht so nahe am Wasser gebaut hatte. Dieser verdammte Kerl! Dabei hatte sie sich fest vorgenommen, sich den Tag durch nichts verderben zu lassen!
Nachdem sie geduscht und sich das Seidennachthemd übergezogen hatte, legte sie sich ins Bett. Sie wurde die quälenden Gedanken nicht los. Weshalb hatte er ihr alles verdorben? Doch dann erinnerte sie sich daran, wie wunderschön und harmonisch der Tag gewesen war, und sogleich verflog ihr Ärger.
Das Läuten des Telefons riss sie aus den Gedanken und brachte sie in die Wirklichkeit zurück. „Hallo?“, meldete sie sich heiser.
„Sie weinen doch nicht etwa?“ Enrico klang sehr besorgt und gar nicht mehr so kühl und distanziert wie zuvor.
„Weshalb
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