ROMANA EXKLUSIV BAND 231
so schwach, und trotzdem musste er ihr immer noch seine Verachtung zeigen. Die Wut verdrängte die Angst. „Doyle, Sie sind einfach ein widerlicher Mistk…“
„Na, na, solch harte Worte aus dem Munde einer Dame? Ich bin entsetzt über Sie, Miss Marshall.“
Erst jetzt merkte Gabrielle, dass er sie absichtlich provoziert hatte. Er hatte sie wütend gemacht, damit sie nicht in Panik ausbrach. Und sie wusste nicht, ob sie weinen oder lachen sollte. Was für ein durchtriebener Lump er doch war!
„Sie wären erst recht entsetzt, wenn Sie wüssten, was ich wirklich denke. Aber jetzt sollten Sie mir sagen, was zu tun ist, bevor Sie keine Gelegenheit mehr dazu haben und es meiner Fantasie überlassen bleibt.“ Sie lachte leise. „Auf Abschluss- und Debütantinnenbällen lernt man so etwas nämlich nicht.“
„Ich glaube nicht, dass sie Ihnen allzu viel geschadet haben.“
Auf einer Skala von eins bis zehn lag dieses Kompliment zwar im Nullbereich, trotzdem wurde Gabrielle warm ums Herz. Dass es von Doyle kam, machte es umso wertvoller. „Ich werde mein Bestes geben, Doyle“, versicherte sie.
Er holte erschöpft Luft. „Der Eiter muss abfließen. Sie müssen die Wunde aufschneiden. Säubern Sie das Messer. Machen Sie Feuer, legen Sie die Schneide hinein, um es zu desinfizieren. Und dann …“ Er sprach nicht weiter und zuckte schwach mit der Schulter, als sei das alles nur eine Kleinigkeit. „Ich weiß, dass Sie es schaffen werden.“
Gabrielle gab sich die größte Mühe, es ebenso zu sehen. Sie nahm das Messer und wog es in ihrer Hand, um den Mut zu sammeln, den sie dringend brauchen würde. Sie hatte so etwas noch nie getan, und im Gegensatz zu Doyles Zuversicht zweifelte sie, ob sie es wirklich fertigbringen würde. Sie sah zu Doyle hinüber und hätte zu gern ihre Bedenken geäußert, aber das war jetzt nicht angebracht. Er hatte die Augen wieder geschlossen, sie wusste nicht, ob er bewusstlos war oder nicht. Aber wenn sie diese Operation nicht durchführte … An die Konsequenzen wagte sie gar nicht zu denken.
Der Regen tropfte durch das Dach des Unterstandes, den sie nach bestem Wissen und Fähigkeiten gebaut hatte. Gabrielle zog den Blechbecher aus dem Rucksack und stellte ihn unter das Rinnsal, dann sah sie wohl zum hundertsten Mal zu Doyle hinüber. Der Schmerz hatte ihn glücklicherweise bewusstlos werden lassen, als Gabrielle sich um die Wunde gekümmert hatte. Irgendwie hatte sie ihn sogar darum beneidet, denn es war wahrlich keine einfache Aufgabe gewesen, aber sie hatte es vollbracht. Jetzt konnte sie nur noch hoffen und beten, dass die Entzündung nicht schon zu weit in seinen Körper vorgedrungen war.
Sie schüttelte den Gedanken ab. Es hatte keinen Sinn, sich schon im Voraus Sorgen zu machen, schließlich standen die Chancen fünfzig zu fünfzig, dass alles gut ging.
Sie legte den Kopf auf den Rucksack und lauschte auf Doyles Atemzüge. Er war für ein paar Minuten aus seiner Ohnmacht erwacht, um dann wieder in einen unruhigen Schlaf zu fallen. Sie konnte nur hoffen, dass der Schlaf ihm helfen würde, ihn wieder zu dem athletischen ausdauernden Mann machen würde, der er war. In den wenigen Tagen, die sie mit ihm verbracht hatte, hatte sie sich mehr und mehr auf ihn verlassen. Mit einem Mann aus ihren gesellschaftlichen Kreisen wäre sie wahrscheinlich schon tot …
„Nein! Tu es nicht … Hör auf!“
Sie zuckte zusammen, als Doyle im Schlaf laut aufschrie, sein Körper zuckte unkontrolliert. Vergeblich versuchte sie ihn wach zu rütteln, aber immerhin beruhigte er sich wieder. Sie legte eine Hand an seine Stirn. Sie war siedend heiß. Doyle hatte hohes Fieber. Und sie hatten die Penizillin-Tabletten im Dorf gelassen!
Im Dorf … Gabrielle erinnerte sich daran, wie die Mutter des Jungen versucht hatte, den Körper des Kleinen abzukühlen, um das Fieber zu kontrollieren. Das würde sie auch versuchen.
Die Zeit zog sich endlos dahin. Immer wieder wischte Gabrielle Doyle mit einem feuchten Taschentuch über Gesicht und Brust. Die Nacht brach herein, und immer noch saß sie neben Doyle und versuchte seinen Körper zu kühlen. Ihre Bewegungen waren automatisch geworden, immer wieder über Stirn, Wangen, den Hals hinunter, über die Brust …
Plötzlich schlug er die Augen auf, und sie konnte nur hoffen, dass er das Schlimmste überstanden hatte. Aber sein Körper begann unkontrolliert zu zittern, und sie beugte sich näher zu ihm heran, um die Worte, die er murmelte, zu
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