ROMANA EXKLUSIV BAND 231
nach Paris geflohen war.
Sie hatte Veronique nicht erzählt, womit Doyle ihr gedroht hatte. Nur einem einzigen Menschen gegenüber hatte sie es erwähnt – dem Anwalt, den sie um Rat gefragt hatte. Laut Ansicht des Anwalts war es unwahrscheinlich, dass Doyle mit seiner Forderung vor Gericht durchkam. Es war sogar unwahrscheinlich, dass dieser Fall überhaupt vom Gericht angehört werden würde. Aber „unwahrscheinlich“, reichte ihr eben nicht. Und was die schreckliche Publicity, die ein solcher Fall bringen würde, anbelangte – Gabrielle wusste, wie aufdringlich die Klatschpresse sein und wie viel Schaden sie anrichten konnte. Ganz abgesehen davon, hatte sie sich um das Kind zu sorgen. Wie würde ihr Sohn sich fühlen, wenn er eines Tages herausfinden musste, wie sehr sein Vater seine Mutter verachtet hatte, dass er solche Maßnahmen ergriff? Kein Kind sollte mit solch einer Information leben müssen.
Also hatte sie ihrer Mutter nur das Versprechen abverlangt, Doyle nicht zu sagen, wo sie sich aufhielt. Natürlich wusste sie, dass sie sich nicht ewig vor ihm verstecken konnte. Aber wenn das Baby erst geboren war, würde sie besser gegen ihn ankommen.
Der Lift kam zum Stehen, und Gabrielle schob das schmiedeeiserne Gitter zurück. Sie drückte den Knopf für den dritten Stock, wo ihre Wohnung lag. Sie hatte Glück gehabt, so kurzfristig ein Apartment zu finden. Aber die Miete war horrend – ein Anzeichen für die zentrale Lage der Wohnung in der Avenue Victor Hugo. Sie gehörte einer Schauspielerin, die sich nur selten in Paris aufhielt und deshalb untervermietete. Die Einrichtung war pompös, mit viel Marmor und Goldstuck. Wenn die Möbel auch nicht unbedingt Gabrielles Geschmack trafen, so war die Wohnung jedoch genau das Richtige für Gabrielles Zwecke. Die Räumlichkeiten waren bequem und das Haus absolut sicher. Niemand würde sich unbemerkt an Madame Mathieu an der Rezeption vorbeischleichen können!
In ihrer Wohnung schlüpfte Gabrielle als Erstes aus ihren Schuhen. Sie war fast den ganzen Tag auf den Beinen gewesen. Weihnachten stand vor der Tür, und die ganze Stadt vibrierte in der vorweihnachtlichen Stimmung. Gabrielle hatte eine Pause in einem kleinen Café eingelegt, einfach nur, um die Zeit, die sie allein in ihrer Wohnung verbringen würde, zu verkürzen. Denn die Einsamkeit ließ die Erinnerungen zurückkommen. Vielleicht hatte sie vor Doyle davonlaufen können, aber sie hatte es noch immer nicht geschafft, ihn aus ihren Gedanken zu verdrängen.
Sie brühte sich einen frischen Tee auf, während sie den Brief überflog und bitter lächelte. Sie hatte richtig vermutet – der Wortlaut glich all den anderen. Sie legte ihn fort, ging mit ihrer Tasse in den elegant möblierten Salon und schaltete die Tischlampen ein. Es war bereits dunkel, und leichter Regen trommelte gegen die Fensterscheiben. Das war die Zeit, vor der sie sich am meisten fürchtete – wenn der Tag ging und die Dunkelheit kam, wenn sie Zeit zum Nachdenken hatte, wenn die Erinnerungen auf sie einströmten, Erinnerungen an Doyle. Oh Himmel, wie sehr sie ihn vermisste!
Das Schrillen des Haustelefons riss sie aus ihren düsteren Gedanken. Sie stellte die Tasse ab und nahm den Hörer ab.
„Madame Marshall, hier ist ein Herr Marshall für Sie. Soll ich ihn zu Ihnen nach oben lassen?“
Großvater ist hier? Die Stirn noch gerunzelt, gab Gabrielle ihr Einverständnis und eilte dann zur Wohnungstür. Doch der Mann, der aus dem Aufzug stieg, hatte keine Ähnlichkeit mit Henry Marshall.
Es dauerte nur einen Moment, bis sie zu ihrem Entsetzen Doyle erkannte. Sie wirbelte herum und hastete in die Wohnung zurück, doch Doyle war zu schnell. Sie schaffte es nicht mehr, die Tür zu schließen.
Mit Leichtigkeit schob er die Tür auf und Gabrielle zur Seite und trat ein. „Ich muss schon sagen, du hast es mir wirklich nicht leicht gemacht, dich zu finden, Gabrielle.“
Sie betrachtete ihn mit eisigem Blick, ihre Gefühle hatte sie unter Kontrolle. Na schön, er sah also umwerfend attraktiv aus in der perfekt sitzenden Jeans und dem eisgrauen Pullover, der fast die gleiche Farbe hatte wie seine Augen. Aber sie durfte nie vergessen, was er ihr bei ihrem letzten Gespräch angedroht hatte und aus welchem Grund sie hier in Paris war. Dieser rasende Puls und dieses Kribbeln in ihrem Magen durften sie nicht beeinflussen.
„Wenn du eine Entschuldigung erwartest, muss ich dich enttäuschen. Ich bin nicht aus London abgereist, damit du
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