Romana Exklusiv Band 240
dem Beifahrersitz gelegen hatte, und fing an zu lesen.
„Komm.“ Cesare legte ihr die Hand unter den Ellbogen und führte Milly zu dem schmalen Durchgang neben dem Nachtclub. „Ich lasse dich zwanzig Minuten mit ihr allein, höchstens eine halbe Stunde, ehe ich dich abhole und ihr meine Meinung sage. Nachdem das hier beendet ist, fahren wir zum Flughafen. Du fliegst nach Pisa, und wenig später fliege ich nach London.“ Er zog die Hand zurück, und seine Miene wirkte auf einmal angespannt.
„Danke“, sagte sie nur. Mehr brachte sie nicht heraus. Die Situation war zu bedrückend, und sie hatte plötzlich das eigenartige Gefühl, ein Abgrund hätte sich zwischen ihr und Cesare aufgetan und er würde sich absichtlich von ihr distanzieren. Dachte er jetzt, nachdem er mit eigenen Augen gesehen hatte, wo und als was ihre Schwester arbeitete, ernsthaft darüber nach, ob er sie wirklich heiraten und zu einem Mitglied seiner vornehmen Familie machen wollte?
Dieser Gedanke war zu quälend, und Milly verdrängte ihn sogleich wieder. Sie ging hinter Cesare her die Stufen hoch und durch die offene Tür in einen schmalen Flur. An der ersten Tür, die sie entdeckten, klebte ein Zettel mit dem Namen Jacinta Le Bouchard. Ohne Milly anzusehen, betätigte Cesare die Klingel. Die Lippen hatte er verächtlich verzogen. Als nach längerem Läuten die Tür aufgerissen wurde, stand Jilly in einem bunten Morgenmantel vor ihnen. Das lange blonde Haar war zerzaust, und sie sah ihre Schwester und Cesare fassungslos und schockiert mit weit aufgerissenen Augen an.
Er drehte sich zu Milly um, warf ihr einen rätselhaften Blick zu und verschwand. Beunruhigt schaute sie hinter ihm her, bis er verschwunden war.
Was mochte er jetzt denken? Erinnerte er sich daran, dass sie ihn getäuscht und sich für ihre Schwester ausgegeben hatte? Warf er sie mit Jilly in einen Topf?
„Warum, zum Teufel, tauchst du hier mit diesem gemeinen Kerl auf?“
Milly sah ihre Schwester an. Auf ihrem Gesicht waren noch Spuren von Make-up zu erkennen, was so gar nicht zu ihr zu passen schien, denn sie hatte immer allergrößten Wert auf ein perfektes Aussehen und eine gepflegte Haut gelegt. Es gab Milly einen Stich. „Darf ich hereinkommen?“
Schweigend drehte Jilly sich um, ging über den winzigen Flur und dann durch einen Vorhang ins Zimmer. Milly folgte ihr in den Raum, der als Wohn-, Schlafzimmer und Küche diente. Überall lagen Kleidungsstücke herum, und in dem Moment fiel Milly wieder ein, dass Jilly schon immer sehr unordentlich gewesen war und das Aufräumen anderen überlassen hatte.
„Es tut mir leid, es gibt schlechte Neuigkeiten“, begann Milly, nachdem Jilly sich auf das Bett gesetzt hatte.
„Heraus damit.“ Uninteressiert zuckte Jilly die Schultern und zündete sich eine Zigarette an.
Milly kam näher und bereitete sich darauf vor, Jilly trösten zu müssen. „Unsere Mutter ist vor einigen Monaten völlig überraschend gestorben.“ Sie nahm Jillys freie Hand und spürte, wie schockiert ihre Schwester war. „Ich hätte es dir gern früher mitgeteilt, aber ich wusste nicht, wo du warst. Du hast ja nichts mehr von dir hören lassen, nachdem du Florenz verlassen hast.“
Jilly wurde blass und saß mit zusammengebissenen Zähnen da, als wäre sie verzweifelt. Mitfühlend drückte Milly ihr die Hand.
Doch Jilly zog ihre Hand zurück. „Wie hast du mich denn gefunden? Und wo hast du diesen schrecklichen Kerl kennengelernt?“ Sie verzog verächtlich die Lippen und drückte die Zigarette in dem überquellenden Aschenbecher aus.
„Ist das alles, was du dazu zu sagen hast? Bist du völlig gefühllos? Ist es dir egal, dass unsere Mutter gestorben ist?“, fuhr Milly sie an. Die Schwester, die sie so sehr bewundert und geliebt hatte, kam ihr auf einmal wie eine Fremde vor.
Jilly zuckte die Schultern. „Natürlich bin ich sehr betroffen. Spiel dich nicht so auf. Aber unsere Mutter hatte sowieso kaum noch Freude am Leben, oder?“
„Wessen Schuld war das denn?“ Milly hätte sie am liebsten an den Schultern gepackt und geschüttelt. „Sie war jedenfalls bis zuletzt davon überzeugt, du würdest das Geld eines Tages zurückzahlen. Sie hat immer an dich geglaubt.“
„Ich wollte es ja zurückzahlen“, verteidigte sich Jilly und schien sich zum ersten Mal unbehaglich zu fühlen.
Milly schob den Stapel Dessous, der auf dem Sessel lag, zur Seite und setzte sich hin, weil die Beine unter ihr nachzugeben drohten. Noch nie zuvor hatte sie
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