Romana Extra Band 1
attraktiv machte.
„Das stimmt“, gab sie zu, „aber nicht, weil ich verschlafen habe.“
Hals Atem streifte ihre Schläfe, und ihre Haut begann zu prickeln. Er war ihr einfach zu nah. Sie sollte wirklich etwas Abstand zwischen sie bringen.
Er hob eine Augenbraue und zog ein Klappmesser hervor. „Du hattest wohl etwas Interessanteres im Bett zu tun?“
„Das könnte man annehmen. Im Moment bin ich nur besorgt wegen meines Termins um zehn Uhr im Rathaus mit dem Vorsitzenden des Planungskomitees.“
Hal schaute auf die Uhr. „Das wirst du nicht mehr schaffen.“
„Nein.“ Es gibt Schlimmeres als einen Sturz in den Graben – zum Beispiel, seinen Job zu verlieren. „Wenn du dich beeilst, könnte ich ihn rechtzeitig anrufen und einen neues Treffen mit ihm verabreden.“
„Vorsicht, Miss Thackeray“, warnte er sie, „oder ich lasse dich, wo du bist.“
Sie hätte jetzt sagen können, dass sie nur ihre Jacke ausziehen müsste, um frei zu kommen, unterließ es dann aber.
Wenn Hal North auf dem Anwesen arbeitete, wusste er möglicherweise viel mehr über das, was dort im Gange war, als das Planungskomitee.
„Ich wollte mit ihm über Cranbrook Park sprechen“, sagte sie. „Man erzählt, dass ein Projektentwickler es gekauft hat.“
„Warum interessiert dich das?“, fragte er.
„Von der Gutsverwaltung habe ich meine Wohnung gemietet. Deshalb habe ich ein persönliches Interesse daran, was damit passiert.“
„Du hast doch sicher einen Vertrag.“
„Ja, schon.“ Der läuft aber leider nur noch über drei Monate. „Ich kenne Sir Robert seit meinem vierten Lebensjahr. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein neuer Eigentümer seinen Mietern dasselbe Interesse entgegenbringt. Er will sicher nicht renovieren, und wenn doch, dann erhöht er bestimmt die Miete. Und dann gibt es noch Gerüchte über die Ansiedlung eines Gewerbegebiets.“
„Und was ist mit den Jobs, die so in der Region entstehen würden?“, fragte er ungerührt. „Ist dir dieser Aspekt egal? Denk mal an Gary Harker.“
„Ich bin Journalistin.“ Es war eine etwas hochtrabende Bezeichnung für jemanden, der für den Nachrichtenteil der Lokalzeitung arbeitete. „Ich bin an allen Gesichtspunkten interessiert.“
„Arbeitest du etwa für das lokale Käseblatt?“
„Für den Observer , ja“, bestätigte sie und versuchte, seinen Sarkasmus zu ignorieren, denn sie wollte herausfinden, was er wusste.
„Nach deiner teuren Ausbildung hast du nichts Besseres gefunden?“
„Es ist abscheulich von dir, so etwas zu sagen.“ Ihr Lächeln verschwand. Ihr fiel wieder ein, warum er sich wohl an das dünne kleine Mädchen von früher erinnerte. Ihre rosa-graue Uniform der Dower House- Privatschule hatte sich von den knallroten Sweatshirts der Maybridge Highschool abgehoben wie eine Lilie von einem Misthaufen.
Die Kinder im Dorf hatten sich darüber lustig gemacht, dass sie anders war. Claire hatte so getan, als wäre es ihr egal gewesen, dabei hätte sie so gern dazugehört, wenn die Kinder morgens in einer großen Traube an der Bushaltestelle gestanden hatten, während sie an ihnen vorbei in die entgegengesetzte Richtung gefahren wurde.
„Du solltest doch nach Oxbridge gehen und dann einen wichtigen Job bei den Medien bekommen.“
„Tatsächlich?“, fragte sie, als würde sie sich nicht genau an jeden peinlichen Auftritt ihrer Mutter im Dorfladen erinnern. „Offenbar war ich nicht so schlau, wie meine Mutter dachte.“
„Und was war der wahre Grund?“
Sie sollte sich geschmeichelt fühlen, dass er ihr nicht glaubte, aber es brachte bloß die Erinnerung an das Chaos und den Kummer einer sehr schwierigen Zeit zurück.
„Wahrscheinlich lag es daran, dass ich ein Baby bekam.“ Wenn er wieder hier wohnte, würde er es ohnehin bald herausfinden. „Das war zu der Zeit eine große Sache im Dorf.“
„Das kann ich mir vorstellen. Und der Vater? Kenne ich ihn?“
„Es gibt nicht mehr viele im Dorf, die du noch kennst“, sagte sie, um einer Antwort auszuweichen. Auch nach all diesen Jahren tat es noch immer weh, sich an das bittere Ende ihres Traums von der großen Liebe zu erinnern. „Es gibt auf dem Anwesen nicht viele Jobs für Leute in unserem Alter.“
Für andere allerdings auch nicht, denn Sir Robert bewegte sich finanziell schon seit Jahren am Rande des Abgrunds. Durch billige Importe war sein Geschäft ruiniert worden, und als dann die Fabrik geschlossen wurde, verlor das Anwesen die nötigen Einnahmen. Es war
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