Romana Extra Band 2
gefahren, sich so weit aus dem Fenster zu lehnen? Verdammt, er wusste doch nicht einmal, ob er es überhaupt noch draufhatte! Es war über zwei Jahre her, seit er zum letzten Mal an Bord einer Segeljacht gestanden hatte. Und Talent hin oder her – es gab Dinge, die man im Laufe der Zeit vergaß oder verlernte und sich dann mühsam wieder aneignen musste.
Doch Zeit war etwas, das Alejandro nicht hatte. Die Regatta würde in knapp vier Monaten stattfinden, und er musste Pixie ganz nebenbei noch bei den Vorbereitungen unterstützen. Wie sollte das funktionieren?
„Immer einen Schritt nach dem anderen.“ Pixie trat neben ihn an die Reling. Hatte sie seine Gedanken gelesen? „Du kannst es“, murmelte sie beschwörend. „Das Segeln liegt dir im Blut, Alejandro.“
„Und wenn du dich täuschst?“ Es gelang ihm nicht, die Verzweiflung aus seiner Stimme zu verbannen. „Was, wenn ich es nicht schaffe? Was machen wir dann?“
„Darüber denken wir nach, wenn es so weit ist“, entgegnete Pixie nach kurzem Nachdenken. „Aber eins weiß ich genau: Wir werden kämpfen, Alejandro. Ich kenne dich gut genug, um zu wissen, dass du nicht der Mann bist, der auf halber Strecke aufgibt.“
Er nickte düster. Auch er kannte Pixie gut. Zu gut vielleicht. Und so wusste er leider auch, dass sie all dies nicht tat, um ihm zu helfen, ganz gleich, was sie auch behaupten mochte. In Wahrheit ging es ihr darum, ihre Agentur zu retten.
Was sonst? fragte er sich bitter. Er war niemals gut genug für Pixie gewesen, und er würde nicht so dumm sein anzunehmen, dass sich an ihrer Einstellung ihm gegenüber etwas geändert hatte. Sie war das verwöhnte Mädchen aus reichem Elternhaus und er der Versager. Heute womöglich noch mehr als damals.
„Also schön.“ Sie klatschte aufmunternd in die Hände. „Wollen wir anfangen?“
„Anfangen womit?“
„Mit unserem Training“, entgegnete sie. „Irgendwann müssen wir doch damit beginnen. Warum also nicht gleich?“
Alejandro hatte das Segeln vermisst – wie sehr, das erkannte er erst jetzt, da er wieder an Bord einer Jacht stand und ihm der kühle, nach Salz und Tang schmeckende Seewind um die Nase wehte. Ein Gefühl unendlicher Freiheit weitete ihm die Brust, gepaart mit der Freude, den Elementen zu trotzen, ihnen abzuringen, was sie freiwillig niemals geben würden.
Zu seiner eigenen Überraschung hatte er nichts vergessen. Jeder Handgriff saß, als habe er zuletzt gestern auf den Planken einer Segeljacht auf hoher See gestanden, und nicht vor Jahren. Sein Körper schien einfach zu wissen, was er zu tun hatte. Alles ging ganz wie von allein.
Gischt spritzte auf, als der Bug der Jacht durch einen Wellenkamm schnitt. Das Hauptsegel blähte sich, während sie an Fahrt zulegten. Alejandro spürte die Sonne auf seinem Gesicht und den Wind im Haar. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl breitete sich in ihm aus.
Er dachte an Estefan, doch zum ersten Mal seit langer Zeit ohne Bitterkeit. Dies war der Ort, an dem sein bester Freund und er stets am glücklichsten gewesen waren. Manchmal hatte Estefans Frau sogar gescherzt, dass ihrem Mann das Segeln und das Meer mehr bedeuteten als seine Familie.
Natürlich hatte Alejandro seinen Freund überredet, zusammen mit ihm an jener schicksalhaften Regatta teilzunehmen. Doch es war letztendlich Estefans Entscheidung gewesen, mitzusegeln. Es gab niemand, der Schuld daran trug, dass er gestorben war – und genau das machte seinen Tod so schwer zu ertragen. Es war ein Unfall gewesen, wie er überall vorkommen konnte. Eine falsche Reaktion, und das Zusammenspiel von Schicksal und Unglück hatte ein Leben gefordert.
Aber warum hatte das Schicksal Estefan gewählt und nicht ihn, dem nach dem Bruch mit seiner Familie niemand nachweinen würde? Warum nur?
So lange quälte Alejandro sich nun schon mit dieser Frage, dass er sich selbst verboten hatte, wirklich zu leben. Denn war es nicht genau so? Er hatte an dem Tag, an dem Estefan starb, weit mehr verloren, als nur seinen besten Freund. Nein, nicht verloren, korrigierte er sich, sondern aufgegeben .
Für die Panik, die jedes Mal von ihm Besitz ergriffen hatte, wenn er versuchte, ein Boot zu betreten, gab es keine nachvollziehbaren Gründe. Es war etwas in seinem Kopf gewesen, das ihn davon abhielt, der Sache nachzugehen, die ihm auf der Welt am meisten bedeutete.
Dem Segeln.
Und nur, weil er sich schuldig fühlte. Weniger am Tod seines besten Freundes, sondern vielmehr, weil er selbst am Leben
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