Romana Extra Band 3
einfach ins Haus und bleiben die nächste Woche. Ansonsten lässt Juana Ihnen gern Ihr Gepäck bringen und ruft Ihnen ein Taxi, das Sie zum Flughafen fährt.“ Er nickte ihr knapp zu, dann wandte er sich um und ging davon.
Laura wollte etwas erwidern, ihn aufhalten, doch ihre Kehle war mit einem Mal wie zugeschnürt. Hilflos sah sie ihm nach. Sobald er aus ihrem Blickfeld verschwunden war, ließ sie ihren Tränen, die sie die ganze Zeit zurückgehalten hatte, freien Lauf. Was sollte sie jetzt tun? Wie hatte ihr Leben bloß derart aus den Fugen geraten können?
Dabei war sie die Letzte, die etwas dafür konnte – nein, wenn jemanden Schuld traf, dann ihre Eltern – oder vielmehr die Menschen, die sie bis vor dem verhängnisvollen Unfall für ihre Eltern gehalten hatte …
Es war ein herrlicher Sonntagmorgen gewesen, als der Unfall passierte. Ihre Eltern und sie hatten sich auf dem Weg nach Barcelona befunden, zur Hochzeit einer Cousine, als ihnen ein Wagen auf der falschen Fahrbahn entgegengekommen war. Laura erinnerte sich noch an den schrillen Angstschrei ihrer Mutter, dann hatte es einen gewaltigen Ruck gegeben, und danach war es schwarz um sie herum geworden.
Zu sich gekommen war Laura im Krankenhaus. Zunächst hatte sie gar nicht gewusst, was passiert oder wie viel Zeit vergangen war. Stattdessen hatten sich plötzlich verstörende Erinnerungen in ihr gemeldet. An Ereignisse aus einer Zeit in ihrem Leben, die bis zu diesem Tag aus ihrem Gedächtnis verschwunden gewesen waren …
Schon als Kind hatte Laura gemerkt, dass irgendetwas mit ihr nicht stimmte. Während ihre Schulfreundinnen ganz genau wussten, was sie mit vier, fünf Jahren erlebt hatten, war dieser Abschnitt ihres Lebens wie ein schwarzes Loch für Laura. Erinnern konnte sie sich an Ereignisse etwa ab ihrem siebten Lebensjahr.
Über den Grund war sie aufgeklärt worden, als sie Diego und Alina Ortega eines Tages darauf angesprochen hatte: Bei einem schweren Sturz mit sechs hatte sie einen Gedächtnisverlust erlitten.
Jahrelang war Laura überzeugt gewesen, dass die Geschichte stimmte. Wie auch anders – schließlich hatte es keinerlei Veranlassung für sie gegeben, in irgendeiner Weise daran zu zweifeln.
Doch als sie nach dem schrecklichen Unfall aus ihrer Bewusstlosigkeit erwacht war, hatte sich etwas verändert: Sie erinnerte sich an sich selbst als fünf- oder sechsjähriges Mädchen, wie sie zusammen mit Menschen, die sie nicht kannte, die ihr aber unglaublich vertraut vorkamen, herumtollte und lachte.
Laura war vollkommen verwirrt gewesen, hatte die beunruhigenden Eindrücke zunächst jedoch für Nachwirkungen des Unfalls gehalten. Und als ihr dann von den Ärzten gesagt worden war, dass sie selbst Glück gehabt habe, ihr Vater aber ums Leben gekommen und ihre Mutter schwer verletzt sei, hatte sie Klarheit gesucht.
Von ihrer vermeintlichen Mutter hatte sie schließlich die Wahrheit erfahren. Alina und ihr Mann hatten vor fünfundzwanzig Jahren während eines Jachturlaubs auf Mallorca ein bewusstloses Mädchen aus dem Wasser gezogen.
Sie, Laura …
Als sie damals aus ihrer Bewusstlosigkeit erwacht war, hatte sie sich an nichts mehr erinnern können. Weder an den Unfall, den sie offenbar gehabt hatte, noch an ihr Leben davor. Ein befreundeter Arzt des Ehepaares Ortega hatte einen vollständigen Gedächtnisverlust diagnostiziert.
Lauras Auftauchen in ihrem Leben war für die Ortegas eine unerwartete Chance gewesen. Sie hatten ein paar Monate zuvor ihre eigene Tochter Loredana verloren. Laura gefunden zu haben erschien es ihnen wie ein Wink des Schicksals.
Natürlich hatten die beiden genau gewusst, dass sie eigentlich sofort die Polizei hätten informieren müssen. Dass es irgendwo Menschen gab, die ihre Tochter vermissten. Die nicht wussten, was aus ihr geworden war. Aber sie hatten es nicht getan. Ganz einfach deshalb, weil sie Laura nicht mehr hergeben wollten.
Von da an war Laura für sie das Kind gewesen, das ihnen genommen worden war. Sie hatten Mallorca verlassen und waren nach Barcelona gezogen, wo kein Mensch sie kannte. Über einen zwielichtigen Bekannten hatten sie gefälschte Papiere besorgt. So war Laura die Tochter der Ortegas geworden.
Dies alles hatte Alina Ortega ihr unter Tränen gestanden. Es war ein unglaublicher Schock für Laura gewesen. Nicht nur, dass der Mann, den sie praktisch ihr ganzes Leben für ihren Vater gehalten hatte, es niemals gewesen war, nein – sie konnte ihn nicht einmal mehr zur Rede
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