Romana Extra Band 3
abgesehen hatten: ihren Mandanten so viel Geld wie möglich aus der Tasche zu ziehen.
Doch ihre Vorbehalte musste sie wohl überwinden. Alles andere wäre egoistisch den Santiagos und feige sich selbst gegenüber gewesen.
Ich werde diese eine Woche schon überstehen. Und was danach kommt, wird sich zeigen.
Sie tastete nach dem silbernen Kreuz an ihrer Halskette; dann straffte sie sich und ging ins Haus.
Als Laura die Augen aufschlug, sah sie alles verschwommen. Es herrschte vollkommene Stille, und sie erschrak, weil sie im ersten Moment glaubte, in ihrem Krankenzimmer zu sein. Plötzlich war alles wieder da: die weißen Wände der Klinik, die Ärzte, die ihr mitteilten, dass ihr Vater bei dem Unfall, den sie selbst ohne größere Verletzungen überstanden hatte, ums Leben gekommen war, und ihre Mutter …
Stopp! Aufhören! rief sie sich zur Ordnung und atmete tief durch. Er war nicht mein Vater, und Alina ist nicht meine Mutter!
Sie blinzelte ein paarmal kräftig, und ihr Blick wurde klar. Jetzt sah sie, dass helles Sonnenlicht durch das deckenhohe Fenster in den Raum fiel und ein goldenes Rechteck auf das edle Nussbaumparkett des Fußbodens malte. Die Wände waren aus hellem Naturstein gemauert, und die Einrichtung wirkte edel und stilvoll.
Kein Krankenhaus also. Aber wo bin ich dann? Doch die Frage war kaum in ihrem Kopf verhallt, als es ihr auch schon einfiel: Natürlich, sie befand sich im Haus von Fernando Estevez, dem Anwalt der Familie Santiago. Die erste Nacht hatte sie also hinter sich.
Sechs stehen mir noch bevor …
Nachdem sie gestern ins Haus gekommen war, hatte sie sich gleich auf ihr Zimmer zurückgezogen. Juana war so freundlich gewesen, ihr ein Tablett mit einem Imbiss zu bringen. Nachdem sie gegessen hatte, war sie hundemüde ins Bett gefallen und kurz darauf eingeschlafen …
Sie setzte sich auf und sah ihr Handy, das sie gestern auf dem Nachttisch neben ihrem Bett abgelegt hatte. Ein Blick aufs Display verriet ihr, dass es schon kurz vor zehn war. Verwundert runzelte Laura die Stirn. Dass sie so lange und noch dazu so fest geschlafen hatte, überraschte sie. Normalerweise fand sie in einer neuen Umgebung keine Ruhe, wachte mehrmals in der Nacht auf und wälzte sich stundenlang von einer Seite auf die andere. Seltsam, dass sie ausgerechnet hier gut geschlafen hatte. Ob es daran lag, dass sie so erschöpft gewesen war?
Seufzend stand Laura auf, öffnete die Balkontür und trat hinaus in den hellen Sonnenschein. Es fühlte sich herrlich an, die wärmenden Strahlen auf ihrer Haut zu spüren. Vom Meer her wehte eine leichte Brise, die mit ihrem Haar spielte und den Saum ihres cremefarbenen Nachthemds bauschte.
Einen Moment lang genoss Laura die atemberaubende Aussicht, dann ging sie wieder hinein und machte sich für den Tag zurecht. Als sie eine halbe Stunde später die Eingangshalle betrat, verschlug es ihr zum wiederholten Male den Atem. Zwar hatte sie sich gestern schon umgeschaut, aber da war sie einfach zu aufgeregt gewesen, um Einzelheiten wahrzunehmen. Heute schien es ihr, als betrachte sie alles mit geschärftem Blick. Was für ein verschwenderischer Luxus in diesem Haus herrschte! Einfach unfassbar!
Unwillkürlich fragte sie sich, wie ein einfacher Anwalt sich solche Pracht leisten konnte. Laura musste daran denken, was seine Angestellte über ihn und Maria Velásquez gesagt hatte, und runzelte die Stirn. Was, wenn er der Spanierin auf der Tasche lag, sie ausnutzte? Bei dem Gedanken verspürte Laura einen Stich in der Magengegend. Es war seltsam: Sie hatte ihre Eltern zum letzten Mal als Sechsjährige gesehen, und an Maria konnte sie sich gar nicht mehr erinnern. Trotzdem kochte Wut in ihr hoch, wenn sie daran dachte, dass Fernando sich womöglich von Maria aushalten ließ. Die Frau war immerhin ihre Tante!
„Buenos días, Señorita“ , wurde sie von Juana begrüßt, die in diesem Moment ebenfalls in die Halle trat. „Möchten Sie frühstücken? Señor Fernando ist schon aus dem Haus, aber er bestand darauf, dass Sie alles bekommen sollen, was Ihr Herz begehrt.“
Erst jetzt merkte Laura, wie hungrig sie war. Sie folgte Juana ins Esszimmer, wo ein Gedeck für sie auf dem Tisch lag. „Was nehmen Sie? Tee oder Kaffee?“, fragte die Haushälterin, deren fröhliche Laune ansteckend wirkte.
„Kaffee“, erwiderte Laura. „Schwarz, bitte.“
„Ach du liebe Güte!“ Die Haushälterin schüttelte missbilligend den Kopf. „Sie sind doch hoffentlich nicht eines von diesen
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