Romana Extra Band 6
„Wo gibt es sonst noch diese Freiheit? Diese endlose, menschenleere Weite? Unsere gauchos können sich kein anderes Leben vorstellen. Es ist hart, hat aber enorme Vorzüge. Kooraki liegt weit weg von meiner Heimat, aber es gleicht unserer Pampa. So haben die Quechuas die offene Steppe genannt.
„Allerdings leben wir nicht ganz so abgeschieden wie Sie. Von unserer estancia führen Straßen in alle Richtungen, und die Umgebung des Wohnhauses, die vor vielen Jahrzehnten von einem unserer größten Landschaftsarchitekten gestaltet wurde, gleicht mehr einem botanischen Garten. Hier befinden wir uns dagegen in absoluter Wildnis, deren Reiz darin besteht, dass sie nie von Menschen erobert wurde. Die Farben sind überwältigend und kaum zu beschreiben. Die feuerrote Erde, die verschiedenen Ockertöne der Wüste, dazu der tiefblaue Himmel … Ist der silberne Schimmer am Horizont eine der berüchtigten Luftspiegelungen?“
„Ja“, bestätigte Ava. „Sie haben manchem frühen Entdecker den Tod gebracht. Sie suchten das sagenhafte Binnenmeer und fanden nur rote Sanddünen. Ein tragisches Schicksal.“
Sie hob ihren schweren blonden Zopf etwas an, um sich etwas Kühlung zu verschaffen. Die Sonne brannte schon heiß vom Himmel herunter, und der anfängliche Galopp, bei dem sich Varo immer leicht hinter ihr gehalten hatte, war anstrengend gewesen und hatte sie erhitzt.
Sie nahm die Gelegenheit wahr, um ihn heimlich von der Seite zu betrachten. Statt des landesüblichen Akubras trug er die typische Kopfbedeckung der argentinischen gauchos : eine flache schwarze Mütze mit breitem, steifem Rand, der sein nobles Gesicht beschattete.
„Ihr Vater war nicht zum Rancher geboren?“, fragte er behutsam.
Ava wich seinem Blick aus und sah nach vorn, wo sich mehrere Billabongs aneinanderreihten und eine Oase im endlosen Einerlei von Sand und Spinifex-Gras bildeten. Die große Überschwemmung, die der Monsun dem Channel Country gebracht hatte, war bis ins Rote Zentrum des Kontinents gedrungen und hatte Flüsse, Lagunen und Billabongs mit frischem Wasser versorgt.
„Sagen wir, Dev war begabter“, antwortete sie. „Er wurde schon früh dafür erzogen, die Ranch und ‚Langdon Enterprises‘ zu übernehmen. Der Druck, der auf ihm lastete, war groß, aber er hielt ihm stand. Meinem Großvater übrigens auch. Wir anderen waren leider nicht so stark. Dad wartete nur darauf, die Verantwortung endlich abgeben und nach seinen Vorstellungen leben zu können. Grandpa war ein Mann, der andere einschüchterte, um sie zu beherrschen. Dad konnte sich nie mit der Rolle des Kronprinzen abfinden, trotzdem war er ein pflichtbewusster Sohn und immer bestrebt, es seinem Vater recht zu machen.“
„Und Sie?“, forschte Varo weiter.
„Was soll ich dazu sagen? Ich habe Luke Selwyn gegen Grandpas Widerstand geheiratet. Weder er noch Dev hielten etwas von ihm. Natürlich hatten sie recht. Sie wissen doch, dass ich mich von Luke scheiden lassen will?“
Varo nickte. „Dev hat etwas Ähnliches angedeutet, und es tut mir aufrichtig leid.“
War das ehrlich gemeint oder nur so dahergesagt? Eins meinte Ava jedoch zu spüren. Der Gedanke, dass sie verheiratet war, gefiel Varo nicht.
„Es muss Ihnen nicht leidtun“, erwiderte sie schroffer als nötig war.
Varo konnte ihr den Ärger vom Gesicht ablesen. Was mochte in ihrer Ehe schiefgelaufen sein? Sicher hatte sie diesen Luke Selwyn anfangs geliebt.
„Ich wollte Grandpa immer gefallen“, fuhr sie ruhiger fort, „aber es gelang mir nie. Er blieb hartnäckig bei seiner Ansicht, dass Frauen nicht den gleichen Status haben wie Männer.“
„Das meinte er wirklich?“ Varo stellte sich vor, wie seine Mutter und seine Schwestern auf so eine Kränkung reagieren würden.
„Ich fürchte, ja. Er sagte es immer wieder, sodass an seiner Überzeugung nicht zu zweifeln war. Er hielt Frauen für schlechte Geschäftspartner und sprach ihnen die Fähigkeit ab, sich durchsetzen zu können. Damit meinte er natürlich die Welt der Männer, und das harte Leben auf einer Ranch rechtfertigte in gewisser Weise seine Ansicht. Frauen sollten seiner Meinung nach ihre Zeit nutzen, um sich den richtigen Ehemann zu angeln … richtig im Sinn von reich. Das war das einzige Ziel meiner Erziehung, die mich viel Anstrengung und meine Eltern viel Geld gekostet hat.“
„Und was ist dabei herausgekommen? Eine tief sitzende Verbitterung.“ Varo hatte einige Nachrufe gelesen, die nach Gregory Langdons Tod in der Presse
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