Romana Extra Band 6
Weile am Fenster gestanden und den kunstvoll gestalteten Landschaftsgarten betrachtet. Jetzt drehte er sich um und meinte: „Ich werde mich hier sehr wohlfühlen, Ava. Dieser Aufenthalt bleibt mir bestimmt unvergesslich.“
Mir auch, hätte sie am liebsten geantwortet, aber damit hätte sie zu viel verraten. „Dann lasse ich Sie jetzt allein“, erwiderte sie stattdessen. „Kommen Sie herunter, wann immer es Ihnen beliebt. Das Essen wird um ein Uhr serviert. Dann ist Dev auch wieder da.“
„Gracias“ , antwortete er.
Diese geheimnisvollen dunklen Augen! dachte Ava. Sie sehen mich nicht an, sondern durchdringen mein Innerstes.
Sie ging zur Tür und sagte, indem sie sich halb umdrehte: „Nuestra casa es su casa.“
Leises Lachen erfolgte daraufhin. „Das war gar nicht schlecht“, stellte er fest. „Ihr Akzent ist gut. Hoffentlich lernen Sie noch mehr von mir, bevor ich wieder abreise.“
„Wir werden sehen“, erwiderte sie gefasst und hielt seinem Blick stand.
2. KAPITEL
Am nächsten Morgen brachen Ava und Varo gleich nach dem Frühstück zu einem Erkundungsritt auf. Die Pferde hatten gesattelt bereitgestanden und bahnten sich jetzt den Weg durch kniehohes Gras, in das sich kleine indigoblaue Wildblumen mischten.
Dev war schon in der Dämmerung nach Sydney geflogen und hatte Ava mit ihrem Gast allein gelassen. Sie musste Varo nicht nur tagsüber, sondern auch am Abend und am nächsten Morgen Gesellschaft leisten. Erst dann würde Dev mit Mel, den Eltern und etlichen Verwandten zurückkommen. Insgesamt musste sie etwa zwanzig Stunden lang Varos starker sexueller Ausstrahlung widerstehen.
Inzwischen kam es ihr so vor, als wäre sie trotz allem, was sie erlebt hatte, blind durchs Leben gegangen. Ganz plötzlich waren ihr die Augen geöffnet worden, und sie nahm mehr wahr, als sie auf Anhieb verkraften konnte. Varo reizte und irritierte sie.
Das Essen am Tag zuvor war überraschend harmonisch verlaufen. Ava hatte den Tisch mit kostbarem Porzellan, altem Silber und echten böhmischen Kristallgläsern festlich gedeckt. Anschließend hatte sie im Garten einige Orchideenzweige gepflückt und als Blickfang in die Mitte der Tafel gestellt. Auch das einfache, aber schmackhafte Menü hatte sie selbst angeregt: Spargel in holländischer Sauce, zartes Fischfilet und als krönenden Abschluss ein warmes Maracujasoufflé. Für die exquisiten Weißweine hatte Dev gesorgt.
Dev und Varo waren beide gute Unterhalter. Sie hatten viel gelesen, waren weit gereist und an den verschiedensten Themen interessiert. Ava hatte deswegen nicht etwa geschwiegen. Beim Umziehen, auf das sie sehr viel Mühe verwandt hatte, war sie noch skeptisch gewesen, ob sie ihrer Hausfrauenrolle gerecht werden würde, aber dann hatte sie so leicht und anregend geplaudert wie die beiden Männer.
Varo hatte ihr dabei lächelnd zugehört. Was lag in diesem Lächeln? Bewunderung oder eher Spott, weil sie so leicht zu durchschauen war und in allem seinen Erwartungen entsprach?
Trotzdem war der Abend harmonisch zu Ende gegangen. Juan-Varo de Montalvo war ein Seelenverwandter und kein Fremder für sie, so seltsam das auch sein mochte.
Eine Schar einheimischer Wellensittiche schwebte in v-förmiger Anordnung über sie hinweg und hinterließ einen schwirrenden Eindruck von Smaragdgrün und Schwefelgelb. Varo sah den kleinen Vögeln aufmerksam nach.
„Erstaunlich, dass sie in dieser Formation fliegen“, meinte er und beugte sich weit zurück, um sie bis in die Wipfel der Bäume jenseits des Billabongs verfolgen zu können. „Ich weiß, dass man Australien das Land der Papageien nennt, und begreife jetzt, warum. Die hübschen bunten Vögel in Ihrem Garten – die kleineren, meine ich – sind Erzloris, nicht wahr? Wie nennt man die mit dem perlgrauen Rücken, dem rosaroten Kopf und den gleichfarbigen Bauchfedern, die so viel Lärm machen?“
„Das sind australische Galahs oder Rosakakadus“, antwortete Ava. „Das Wort Galah kommt aus der Sprache der Aborigines und bezeichnet auch einen unbelehrbaren Dummkopf. Sie werden den Ausdruck häufig von den Rancharbeitern hören … vor allem, wenn es sich um Neulinge, die sogenannten Jackaroos, handelt. Gerade die Mutigsten unter ihnen sind oft nicht für diese Arbeit geeignet. Man behält sie auf Probe und rät ihnen, woanders Arbeit zu suchen, wenn sie sich nicht bewährt haben. Aber auch dann bleibt die Zeit auf der Ranch das Abenteuer ihres Lebens.“
„Verständlicherweise“, meinte Varo.
Weitere Kostenlose Bücher