Romana Extra Band 6
sollte.
Was ist los mit dir? Du kannst nicht im Ernst nach Laurins-les-Fleurs zurückkehren wollen. Dein Zuhause ist London. Dort hast du deine Wohnung, deine Freunde, deinen Job. Die Leute von der Agentur werden nicht gerade begeistert sein, wenn du ihnen erklärst, dass du von nun an in einem kleinen Kaff in der Normandie leben willst.
Wie sie es auch drehte und wendete, es änderte sich nichts. Es wäre absolut unvernünftig und vermutlich sogar schädlich für ihre Karriere, sich in Laurins-les-Fleurs niederzulassen. Außerdem kannte sie sich mit Blumen in etwa so gut aus wie mit Atomphysik. Ein Verkauf der Roseraie Baillet war die einzig logische Lösung.
Ein Verkauf, ja – aber nicht an Laurent Colberts Auftraggeber!
Der Gedanke war ihr ganz plötzlich und unvermittelt gekommen – und sie war selbst ein wenig überrascht darüber. Doch jetzt, wo sie darüber nachdachte, war es genau das, was sie wollte. Es ging nicht darum, dass sie, wie sie anfangs behauptet hatte, nicht an einen Mann verkaufen wollte, für den Laurent arbeitete – nein: Es ging darum, dass sie verhindern musste, dass die Roserie Baillet dem Mann in die Hände fiel, der ihrem Großvater in den letzten Monaten das Leben schwer gemacht hatte.
Denn ansonsten stimmte es schon, was Laurent sagte: Ein Verkauf der Rosenzucht war nur vernünftig. Sie konnte das Lebenswerk ihres Großvaters nicht behalten, auch wenn sie das gestern gesagt hatte – dazu fehlte ihr nicht nur die Zeit, sondern auch das handwerkliche Können. Und außerdem bedeutete es, dass sie mit dem Leben, das sie bisher kannte, abschließen musste, denn so wollte es das Testament ihres Großvaters.
Sie musste also einen anderen Interessenten finden.
Von neuem Mut erfüllt, schwang sie ihre schlanken, leicht gebräunten Beine aus dem Bett, trat ans Fenster und öffnete die Fensterläden ganz. Tief sog sie die klare, würzig nach See und Blumen duftende Luft in ihre Lungen. Ja, sie wusste jetzt, was sie zu tun hatte: einen Käufer finden, bei dem sie sicher sein konnte, dass er die Rosenzucht im Sinne ihres Großvaters weiterführte. Und das würde ihr auch gelingen – ganz gleich, wie lange es dauern mochte.
„Du siehst heute ja richtig frisch und ausgeruht aus“, stellte Adrienne fest, als Rosalie eine halbe Stunde später die Küche im Erdgeschoss des Hauses betrat.
„So fühle ich mich auch“, erwiderte sie – und zu ihrem eigenen Erstaunen stimmte das tatsächlich. Seit sie einen Entschluss gefasst hatte, ging es ihr sehr viel besser. Und das, obwohl sie noch immer nicht genau wusste, wie es weitergehen sollte. „Ich denke, ich werde mir heute einen Mietwagen nehmen und nach Rouen fahren. Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis mein Wagen aus der Werkstatt zurückkommt.“
Überrascht hob Adrienne eine Braue. „Ja“, sagte sie, „tu das ruhig. Ich denke, so ein kleiner Ausflug wird dir guttun. Aber vergiss den Mietwagen – du kannst mein Auto nehmen.“
„Das ist wirklich nett von dir, aber nicht notwendig.“
„Papperlapapp – notwendig mag es nicht sein, aber es ist doch das Mindeste, was ich tun kann.“ Sie reichte Rosalie eine Tasse Kaffee. „Hier“, sagte sie. „Möchtest du ein Croissant? Du solltest unbedingt etwas essen, sonst fällst du mir noch vom Fleisch!“
Nach einem reichhaltigen und guten Frühstück verließ Rosalie das Haus – in der Hand den Zündschlüssel von Adriennes Wagen. Doch als sie den alten, klapprigen Peugeot erblickte, tat es ihr leid, nicht doch auf einen Mietwagen bestanden zu haben.
„Na, das kann ja heiter werden …“
Wider Erwarten sprang die alte Klapperkiste sofort an, und so befand sich Rosalie knapp eine Viertelstunde später auf dem Weg nach Rouen. Die Landstraße wand sich durch weite, sanft gewellte Weiden, goldene Weizen- und leuchtend gelbe Rapsfelder. Nach und nach fiel die letzte Anspannung von Rosalie ab. Sie öffnete das Seitenfenster und genoss den Fahrtwind, der ihr durchs Haar strich.
Doch sie unternahm den Ausflug nach Rouen nicht nur zu ihrem privaten Vergnügen. Vor allem ging es ihr darum, sich nach einem Immobilienmakler umzusehen, der den Verkauf der Roseraie Baillet für sie in die Wege leitete. Es konnte ja wohl kaum sein, dass Richard Delacroix die einzige Person war, die sich für die Rosenzucht interessierte. Notfalls würde Rosalie sich auch bereit erklären, zu einem geringeren Preis zu verkaufen, als das Anwesen eigentlich wert war. Hauptsache, der Käufer sicherte
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