Romana Extra Band 6
geworden ist, der uns damals verließ.“
Ihre Worte ließen die alte Bitterkeit wieder in Rosalie aufwallen. „Ach ja? Dann verstehe ich nicht, warum er nie – nicht ein einziges Mal – versucht hat, mit mir in Kontakt zu treten.“ Sie schüttelte den Kopf. „Er hat mich weggeschickt, weil er mich nicht mehr wollte. Es ist nett, dass du immer wieder versuchst, mich zu trösten, aber das musst du nicht.“
Erschrocken schaute Adrienne sie an. „Was sagst du da?“
„So war es doch, oder etwa nicht?“
„Non!“ Adrienne schüttelte den Kopf. „Ganz und gar nicht! Wer hat dir denn so etwas erzählt? Wer … Das war Sandrine, nicht wahr?“
„Willst du damit sagen, sie hat gelogen?“ Rosalies Stimme versagte beinahe. „ Grand-père wollte gar nicht, dass sie mit mir weggeht?“ Ein ersticktes Stöhnen entrang sich ihrer Kehle. Sie schlug sich die Hand vor den Mund und sprang so abrupt auf, dass ihr Stuhl nach hinten wegkippte.
Sofort stand auch Adrienne auf und kam zu ihr herüber. Sie legte Rosalie eine Hand auf die Schulter. „Es tut mir leid, dass du es so erfahren musst. Ich dachte, du wüsstest von dem Streit zwischen deiner Mutter und François. Sie hatten sich ja schon lange nicht mehr besonders gut verstanden, aber dann eskalierte die Situation. So sehr, dass Sandrine deine Sachen zusammenpackte und verkündete, dass sie dich mit sich zurück nach England nehmen wolle.“
„Das heißt, grand-père hat gar nicht …“ Sie schluckte hart. „Er hat mich gar nicht weggeschickt?“ Die Neuigkeit traf sie vollkommen unvorbereitet. All die Jahre hatte sie Sandrine geglaubt. Sie war wütend, enttäuscht und verletzt gewesen, hatte sich von ihrem Großvater verstoßen und verraten gefühlt. Und das alles nur wegen eines albernen Streits!
Tränen stiegen ihr in die Augen, und sie wandte sich hastig ab. Doch natürlich entging Adrienne trotzdem nicht, wie aufgewühlt sie war.
„Sie hat dir nie gesagt, was damals wirklich passiert ist?“, fragte die ältere Frau behutsam.
Rosalie schüttelte den Kopf. „Immer, wenn das Thema zur Sprache kam, hat maman abgeblockt. Sie beharrte lediglich darauf, dass grand-père mich nicht mehr bei sich haben wollte und sie deshalb gezwungen war, mich mit nach London zu nehmen.“
Adrienne seufzte bekümmert. „Wirklich schade, dass es so gekommen ist. Ich habe immer gehofft, dass sich die beiden eines Tages wieder zusammenraufen würden. Doch sie waren wohl einfach zu verschieden. François liebte nichts mehr als das Leben hier draußen in der Provinz, während es Sandrine schon immer in die große weite Welt gezogen hatte. Deshalb wollte sie deinen Vater auch nicht heiraten, obwohl der sicher bereit dazu gewesen wäre, so verliebt wie er in sie war.“
„Was sagst du da?“ Rosalies Kehle fühlte sich mit einem Mal an wie zugeschnürt. „Aber ich dachte …“ Sie räusperte sich. Ihr Herz hämmerte wie verrückt. „ Maman hat immer gesagt, mein Vater habe sie sitzen gelassen, als sie mit mir schwanger war.“
Erneut seufzte Adrienne. „Ja, ich weiß. Und François musste ihr schwören, dass er dir niemals die Wahrheit sagen würde.“
„Aber warum?“ Rosalie konnte es nicht fassen. „Warum hat sie das getan? Und warum hat grand-père dabei mitgespielt?“
„Ihm blieb kaum etwas anderes übrig. Er hat selbst erst davon erfahren, als du bereits fünf Jahre alt warst. In der Zwischenzeit war dein Vater längst mit einer anderen Frau verheiratet. Es hätte nur Unfrieden und Unglück bedeutet, die Wahrheit aufzudecken. Für die Familie deines Vaters, aber auch für dich. Deshalb hat François geschwiegen.“
„Soll das heißen, mein Vater weiß gar nicht …? Aber wie kann das sein? Er muss doch gemerkt haben, dass sie ein Kind erwartete.“
Adrienne zuckte mit den Schultern. „Natürlich hat er mitbekommen, dass sie schwanger war“, erwiderte sie. „Aber er hat bis zu seinem Tod nie erfahren, dass er der Vater des Babys – dein Vater – war. Du musst wissen, dass deine Mutter nicht unbedingt ein Kind von Traurigkeit gewesen ist. Sie war ein flatterhaftes junges Ding, das von den jungen Männern umschwärmt wurde. Alexandre konnte nicht wissen, dass …“ Sie atmete tief durch. „Es wären durchaus noch andere Männer infrage gekommen.“
Als sie Rosalies schockierten Gesichtsausdruck sah, seufzte sie. „Ach Kindchen, geh nicht zu streng mit deiner Mutter ins Gericht – das hat François mehr als zur Genüge getan. Was glaubst du,
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