Romana Gold Band 15
aufgewachsen war. Sie, Gina, hatte es immer geliebt und unter anderem deswegen die Gelegenheit ergriffen, in der Filiale in Ipswich zu arbeiten.
Wer würde nicht lieber hier wohnen als im hektischen London? überlegte sie, als sie ihren Wagen in die Garage neben den Stallungen fuhr. Langsam ging sie aufs Haus zu. Heute war es besonders friedlich. Es war ein sonniger Junitag, und man hörte nur das leise Gurren der Tauben in den Bäumen und das Motorengeräusch eines Traktors in der Ferne.
Nachdem sie für Antonio die Suite ausgesucht hatte, die am weitesten von ihrem Schlafzimmer entfernt war, ertappte Gina sich dabei, wie sie nervös durchs Haus lief.
Sie sagte sich, dass Antonio sich bestimmt nicht mehr daran erinnerte, wie sie sich damals zum Narren gemacht hatte, doch es nützte nichts. Immer wieder tauchte die gefährlich aufregende Gestalt von Antonio Ramirez vor ihr auf.
Mit dem welligen rabenschwarzen Haar, das ihm entweder bis zum Kragen reichte oder das er nach dem Duschen nass zurückgekämmt hatte, und den von langen Wimpern gesäumten, mutwillig funkelnden dunklen Augen war er umwerfend attraktiv gewesen.
Kein Wunder, dass sie sich damals Hals über Kopf in ihn verliebt hatte. Sie hatte gerade die Schule beendet und war leicht zu beeindrucken gewesen, und er war der tollste Mann gewesen, dem sie je begegnet war. Und zufällig war er auch der Bruder ihrer besten Freundin, bei der sie die Osterferien verbracht hatte.
Offenbar war sie nicht die Einzige gewesen, auf die der Sechsundzwanzigjährige eine so starke Wirkung ausübte. Fast jede Frau zwischen neun und neunzig in der spanischen Großfamilie hatte genauso für ihn geschwärmt, wie es schien.
„Sieh sie dir an!“, hatte Roxana einmal lachend bemerkt. „Sie sind alle ganz verrückt nach ihm. Estúpidas, no?“
Und ich war die Dümmste von allen, dachte Gina grimmig und ärgerte sich wieder über sich selbst, weil sie sich in etwas hineinsteigerte, das so lange zurücklag. Schließlich riss sie sich zusammen. Sie brauchte frische Luft und Bewegung. Daher beschloss sie, sich umzuziehen und einen Ausritt zu machen, um auf andere Gedanken zu kommen.
Antonio presste ärgerlich die Lippen zusammen, als er – zum hundertsten Mal, wie es ihm schien – auf die Bremse trat.
Einen fremden Wagen auf der falschen Straßenseite fahren zu müssen war schlimm genug. Doch der dichte Verkehr auf der Ausfallstraße hätte sogar die Geduld eines Heiligen auf die Probe gestellt.
Als Antonio an den möglichen Verlust der Lieferung und seine Begegnung mit Sir Robert Brandon dachte, musste er sich eingestehen, dass es ein großer Fehler gewesen war, den Abstecher nach London in seinen ohnehin knapp bemessenen Terminplan einzuschieben.
„Es tut mir so leid, mein Junge“, hatte Sir Robert gesagt. „Es sieht so aus, als wäre deine Lieferung fälschlich an unsere Zweigstelle in Ipswich gegangen. Ich werde meine Mitarbeiter sofort darauf ansetzen, sie ausfindig zu machen.“
Leider stellte sich heraus, dass er mit „sofort“ zwei Wochen meinte.
„Zwei Wochen!“, rief Antonio entsetzt. „Ich wollte höchstens zwei Tage in England verbringen.“
Nach einigem Hin und Her sah er jedoch ein, dass es das Beste war, wenn er selbst zur Filiale in Suffolk fuhr.
„Es ist nicht weit“, versicherte Sir Robert. „Deshalb schlage ich dir vor, dass ich dir jetzt den Keller zeige. Wir haben hier ein paar Kisten mit sehr alten Jahrgangsweinen, die dich vielleicht interessieren.“
Da ihre Familien seit über hundertfünfzig Jahren Geschäftsbeziehungen zueinander unterhielten, hatte er nicht so höflich sein und den Vorschlag ablehnen wollen. Allerdings war es ein Fehler gewesen, wie Antonio sich nun eingestehen musste, denn anschließend hatte Sir Robert darauf bestanden, dass er mit ihm in seinem Haus in der Pall Mall zu Mittag aß.
„So kann ich dich unmöglich gehen lassen“, verkündete er. „Außerdem habe ich mich so darauf gefreut, das Neuste über meinen alten Freund Emilio zu erfahren. Ich war sehr traurig, als ich von seiner Erkrankung gehört habe.“
Ihm, Antonio, blieb deshalb nichts anderes übrig, als die Einladung anzunehmen. Und da Sir Roberts Angestellte sich beim Servieren des mehrgängigen Menüs alle Zeit der Welt ließen, wurde ihm bald klar, dass er die Filiale in Suffolk erst nach Büroschluss erreichen würde.
Wenn er vernünftig gewesen wäre, hätte er die Sendung einfach abgeschrieben und sich auf den Rückweg nach Spanien
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