Romana Gold Band 15
Traum heimgesucht wurde … dem Albtraum, der ihr das Leben einige Jahre nach der Begegnung mit ihm zur Hölle gemacht hatte. In den letzten Nächten war sie mehrfach schweißgebadet und zitternd vor Scham aus dem Schlaf geschreckt.
Sie hatte wirklich ihr Bestes getan, um die Erinnerungen an jene Zeit zu begraben, als sie offenbar viel zu jung und unschuldig gewesen war, um zu verstehen, wie grausam das Leben sein konnte. Umso mehr ärgerte Gina sich über die Erkenntnis, dass Antonio die ganze Zeit in ihrem Unterbewusstsein herumgespukt hatte und lediglich die Erwähnung seines Namens jene unliebsamen Erinnerungen wieder hatte wach werden lassen.
Und das war völlig verrückt, denn sie war längst darüber hinweg. Es ist lächerlich, sich so in diese Sache hineinzusteigern, schalt sie sich wütend. Sie wusste, dass die Träume irgendwann verschwinden würden und sie ihr normales, ruhiges Leben weiterleben konnte.
Am Donnerstagvormittag riss das Klingeln des Telefons Gina aus ihren Gedanken.
„Hallo, Grandpa … Ja, alles bestens“, versicherte sie schnell. „Nein, tut mir leid. Es gibt keine Spur von der Lieferung. Ich bin alle Unterlagen hier durchgegangen und habe nichts gefunden.“
„Das spielt jetzt keine Rolle mehr, denn ein Vertreter von Ramirez besteht darauf, den Lagerbestand zu überprüfen“, ließ sich die durchdringende Stimme ihres Großvaters vernehmen.
„Das ist absolute Zeitverschwendung“, konterte Gina. „Ich weiß, dass sie hier nicht angekommen ist. Eine Lieferung in der Größenordnung wäre uns wohl kaum entgangen, oder?“
„Jedenfalls sitzt Antonio Ramirez hier in London in meinem Vorzimmer …“
„Was?“
„… und er müsste entweder am Spätnachmittag oder am frühen Abend bei dir eintreffen.“
„Aber … dann ist das Büro längst geschlossen.“ Unwillkürlich verstärkte sie den Griff um den Hörer. „Was für einen Sinn hat es denn, wenn er herkommt?“
„Also wirklich, Gina!“, protestierte ihr Großvater. „Ich kann mich doch darauf verlassen, dass du Don Antonio höflich behandelst, oder?“
„Ja … ja, natürlich. Entschuldigung“, erwiderte sie leise. Plötzlich zitterte sie am ganzen Körper. „Ach, du meine Güte!“, fuhr sie dann fort. „Wenn er so spät kommt, reserviere ich ihm am besten ein Hotelzimmer. Vielleicht im Hintlesham Hall? Das Essen dort ist hervorragend, und …“
„Was ist eigentlich los mit dir, Liebes?“, fiel er ihr gereizt ins Wort. „Wir haben schon lange Geschäftsbeziehungen mit seiner Firma. Und sein Onkel ist ein alter Freund von mir, wie du weißt. Deswegen habe ich Don Antonio gesagt, dass er selbstverständlich in unserem Haus übernachten kann …“
„In unserem Haus?“, wiederholte sie benommen.
„Und sicher kann ich mich darauf verlassen, dass du dich um ihn kümmerst“, erklärte ihr Großvater entschlossen, bevor er das Gespräch beendete.
Gina sprang auf und ging nervös in ihrem Büro auf und ab. Was sollte sie bloß tun? Es wurde immer schlimmer.
Wie hatte sie nur vergessen können, dass sie ihrer Haushälterin und deren Mann übers Wochenende freigegeben hatte? Als sie einen Blick auf ihre Uhr warf, stellte sie fest, dass die beiden vermutlich längst unterwegs nach Wales zu ihrer Tochter waren.
Sie zwang sich, stehen zu bleiben und einige Male tief durchzuatmen.
Es war ein großes altes Haus mit vielen Gästezimmern, und sie war durchaus in der Lage, allein mit Antonio fertig zu werden. Schließlich war sie kein junges Mädchen mehr und es gewohnt, Geschäftsfreunde zu bewirten. Außerdem hatte sie ihn seit Jahren nicht mehr gesehen. Möglicherweise war er längst verheiratet und hatte mehrere Kinder.
Und wenn er erst am Abend eintraf, konnte sie mit ihm in einem Restaurant essen und die Unterhaltung aufs Geschäft beschränken. Und wenn er sich davon überzeugt hatte, dass die Lieferung nicht nach Ipswich gegangen war, würde er am nächsten Tag spätestens gegen Mittag wieder aufbrechen.
Gina beschloss, nach Hause zu fahren und sich zu vergewissern, dass zumindest ein Gästezimmer hergerichtet war.
Obwohl sie immer noch sehr angespannt war, atmete sie erleichtert auf, als sie kurz darauf in ihrem kleinen Sportwagen die lange, von alten Eichen gesäumte Auffahrt zu Bradgate Manor entlangfuhr.
Das Herrenhaus im Tudorstil war seit dem Viktorianischen Zeitalter der Landsitz der Familie Brandon. Ihr Ururgroßvater hatte es damals für seine junge Frau gekauft, die in Suffolk geboren und
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