Romana Gold Band 15
John hatte das Buch ebenfalls sehr genossen und bewundert. Vielleicht verdienten es Schriftsteller doch, mehr gefeiert zu werden als schlichte Möbelrestauratoren.
„Was ist mit der Kamera?“, erkundigte sich Bayne sanft.
„Oh, Pardon.“ Jenna fuhr aus ihren Gedanken hoch, nahm den Apparat und machte eine Reihe von Landschaftsaufnahmen. Sie hielt kleine Dörfer und einsam gelegene Bauernhäuser für Baynes Archiv fest. Allmählich veränderte sich die Umgebung, wurde zunehmend leer und öde.
Nachdem sie Tobarra hinter sich gelassen hatten, öffnete sich eine weite, staubige Ebene, die sich ins Unendliche zu erstrecken schien. Mit steigender Sonne war es immer wärmer geworden, nun hieb die Hitze von allen Seiten auf sie ein und schien doch merkwürdigerweise die Wahrnehmung zu schärfen.
Wie gebannt betrachtete Jenna die hitzeflimmernde Ebene. Sie fotografierte alles, was ihr interessant vorkam.
„Man erwartet beinah, einen einsamen Reiter in der Ferne zu sehen“, sagte sie verträumt und ließ die Blicke über das unwirtliche Land schweifen. „Den Hut in die Stirn gezogen, eine halb gerauchte Zigarre im Mund, unterm Poncho die Pistolen.“
„Wie in einem Italo-Western?“
„Ja. Werden die nicht zum Teil in Spanien gedreht?“
„Ich glaube, ja“, meinte Bayne. „Aber mein Geschmack ist das nicht. Mir gefallen Ninja Turtles …“
„So ein Kinderkram, Bayne!“, schimpfte Mark.
„Verzeihung“, sagte Bayne zerknirscht.
Jenna drehte sich um und lächelte Mark zu. Im Rückfenster sah sie die mächtige Staubwolke, die das Auto hinter sich herzog. Rot, Ocker, Braun waren die einzigen Farben in dieser Landschaft. In der Stadt hatte man das nicht so gemerkt, doch auf dem Land wurde deutlich, was für eine gnadenlose Geißel die Sonne sein konnte. Die Touristen an der Costa del Sol bekamen dies nicht im Entferntesten zu sehen, Jenna war geradezu dankbar für das Erlebnis.
„Wie weit ist es bis zur Sierra Nevada?“, wollte sie wissen.
„Nicht sehr weit“, erklärte Bayne. „Zeig es ihr auf der Karte, Mark.“
Mark beugte sich über Jennas Schulter, reichte die Karte nach vorn und wies eifrig mit dem Finger. „Da.“
Jenna blickte auf die dunkle Linie der Bergkette und ließ den Blick weiterwandern: Granada, Almería, Sevilla, Córdoba – köstliche Namen, die wunderbar über die Zunge gingen. Jenna beschloss, die Städte auf dem Heimweg alle zu besuchen. Vielleicht nicht gerade Córdoba, aber sicher Granada und Linares, Guadalajara, Zaragoza und Andorra. Wie viel Schönes würde sie zu sehen bekommen …
„Kamera?“, erinnerte Bayne sie wieder.
„Entschuldige.“ Jenna gab Mark die Karte zurück und schoss schnell einige Fotos.
Sie waren fast allein auf der Straße, eine Panne wäre sicher nicht sehr lustig. Immer wieder blickte Jenna besorgt auf die Tank- und Temperaturanzeigen.
Bayne bemerkte es und lachte. „Menschen, die nicht risikofreudig veranlagt sind“, sagte er, „vergessen nie zu tanken.“
„Wie tröstlich.“ Er hatte sich also tatsächlich gemerkt, dass sie ihn als wenig risikofreudig bezeichnet hatte. Aber warum musste er stets so kurz angebunden sein? Fast, als hätte er etwas zu verbergen. „Pardon, was sagtest du?“
„La Mancha“, wiederholte er.
„Tatsächlich?“ Aufgeregt sah Jenna aus dem Fenster. „Das ist sie?“
„Ja.“ Bayne machte eine ausholende Armbewegung. „Alles, was du hier siehst.“
Mit großen Augen blickte Jenna sich um. War Cervantes über diese staubige Ebene gezogen? Vielleicht hatte er sich auch Notizen gemacht wie Bayne.
Jenna wischte sich eine schweißnasse Haarsträhne aus der Stirn und warf Bayne einen gut gelaunten Blick zu. Nein, dies war kein Cervantes, und erst recht kein Don Quichotte. Trotz der beklemmenden Hitze wirkte er entspannt und frisch. Er hatte einen Arm auf dem Holm des offenen Fensters liegen, mit der anderen Hand steuerte er gelassen. Die verspiegelten Brillengläser verbargen seine Augen, das dunkle Haar war vom Fahrtwind zerzaust.
Übermütig begann Jenna, einen bekannten Song aus dem Musical „Der Mann von La Mancha“ zu summen. Bayne lachte und fiel ein, aber leider kannte keiner von ihnen den vollständigen Text. Also sangen sie auf La-la.
„Nicht schlecht, Alter“, bemerkte Mark.
„Danke“, sagte Bayne trocken.
„Wer ist dieser sagenhafte Mann von La Mancha?“, fragte Mark.
„Junge!“, meinte Bayne vorwurfsvoll. „Was bringen sie euch eigentlich in der Schule bei? Don Quichotte!
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