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Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)

Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)

Titel: Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Martenstein
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Straßen und Wege sind dann plötzlich mit Porsches und BMWs zugeparkt. Man sieht tatsächlich keinen einzigen Fußgänger, nur silberfarbene Porsches unter Peitschenlampen.
    Dann geht man in ein Gasthaus hinein. Es heißt »Pistenklause«. An den Wänden hängen Rennfahrerfotos. An langen Tischen sitzen Gäste, dicht an dicht. 90 Prozent sind Männer zwischen schätzungsweise 45 und 55. Das sind die Porschefahrer. Wenn du jünger bist, hast du das Geld noch nicht. Wenn du älter bist, hast du die Reaktionen nicht mehr.
    Die Männer haben fast alle Polohemden an. Einige tragen auch nachts Rennsonnenbrillen, in die Stirn geschoben. Die Männer reden in verschiedenen Sprachen, Englisch, Französisch, Schweizerdeutsch. Zehn Prozent der Gästeschaft bestehen aus Frauen. Sie sind alle zwischen 20 und 30. Das sind offenbar die Freundinnen der Porschefahrer. Es sitzt immer eine einzelne Freundin mit acht oder neun Porschefahrern an einem langen Tisch und trinkt Mineralwasser.
    In dem Moment versteht man: Nürburg ist eine Art Kurort für Midlife-Crisis-Kranke. Im Laufe der Zeit haben sie die Dorfbewohner angesteckt. In Nürburg kommt man schon als Midlife-Crisis-Kranker zur Welt. Deshalb haben es sogar die Kinder.
    Die Wirtin sagt: »Nein, Tourismus im üblichen Sinn haben wir hier kaum. Die Herren sind alle wegen dem Nürburgring da.«
    Was genau machen sie? »Sie buchen im Fahrsicherheitszentrum einen Kurs. Manche kommen seit zehn Jahren oder länger.Die Schweizer Gruppe sogar zweimal im Jahr. Sie üben im Kurs, und dann drehen sie auf dem Ring Runden. Sonst können die Herren ihre Autos ja nirgendwo ausfahren.«
    Das Fahrsicherheitszentrum liegt hinter dem Funpark, zwei Übungsplätze und ein Bürogebäude. Viele Hostessen in schwarzen Uniformen laufen umher. »Interessieren Sie sich fürs Intensivtraining oder fürs Perfektionstraining?«, fragt die Hostess und reicht den Prospekt rüber. Im Prospekt steht: »Wie aus dem Nichts schießen vor Ihnen Wasserfontänen aus dem Boden. Eine hydraulisch bewegte Platte zieht Ihrem Auto die Hinterräder zur Seite. Wir sorgen dafür, dass Ihr Auto komplett den Kontakt zur Fahrbahn verliert.« Das also ist das Fahrsicherheitszentrum.
    Graf Berghe von Trips verglich das Rennfahren mit den Turnieren der Ritterzeit. Der Tod muss als Möglichkeit mitgedacht werden, daraus besteht der Kitzel. Beim Boxen wollen die Zuschauer ein K. o. sehen, beim Autorennen liegt immer der spektakuläre Unfall in der Luft. Zu sagen, die Zuschauer wollen, dass jemand stirbt, wäre übertrieben. Sie wollen es nicht unbedingt, aber die Möglichkeit, dass jemand sterben könnte, erhöht die Attraktivität der Veranstaltung schon ein wenig.
    In der Dorfchronik von Nürburg steht, dass die Burg etwa 1150 durch Ulrich von Are errichtet wurde. Ulrichs Bruder aber wollte, dass die Erbfolge an seine Linie übergeht. Deswegen, so erzählt die Dorfsage, ließ er den Grafen Ulrich durch einen gedungenen Tunichtgut entmannen. Nicht etwa töten, nein, nur entmannen, so viel Bruderliebe war denn doch. Das ist seltsam: Ein deutscher Ort, der so viel mit Männerritualen und Midlife-Crisis und vielleicht Potenzsymbolen zu tun hat, falls man die populäre These akzeptiert, dassein Porsche ein Potenzsymbol ist, ein solcher Ort also hat als Dorfsage ausgerechnet eine Kastrationsphantasie. Wirklich sonderbar.
    Und oben, auf der Burg, hört man immer dieses Röhren. Es könnten Motoren sein. Aber vielleicht ist es ja tatsächlich das abgetrennte Gemächt des Grafen Ulrich, das hier irgendwo vermodert und bis auf den heutigen Tag röhrend nach Rache ruft.

König Lear, auf schwäbisch
    In Stuttgart steht ein Thron, der ist blutig. Es ruht ein Fluch darauf. Aus dem Amt des baden-württembergischen Ministerpräsidenten kommt seit Menschengedenken keiner heil heraus. Es gab einen, der hieß Hans Filbinger und musste gehen, weil er ein Nazirichter war. Spitzname: der furchtbare Jurist. Sein Nachfolger Lothar Späth, enorm tüchtig, genannt das Cleverle, stürzte über unkorrekte Reisen. Ganz früher war da noch Kurt-Georg Kiesinger, genannt Silberzunge, der wurde zwar zum Kanzler befördert, aber er verspielte die Macht der CDU und endete glücklos, abgehalftert, obwohl die Silberzunge doch so schön reden konnte. Was für ein Job.
    Und dann kam Teufel.
    Jeden Morgen um 6 Uhr 46, Montag bis Freitag, steigt Erwin Teufel in Spaichingen in den Zug, immer ins gleiche Abteil, und fährt eineinhalb Stunden nach Stuttgart zum Regieren.

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