Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)
Die erste Viertelstunde liest er Zeitung, danach liest er Post, danach diktiert er Briefe. In Stuttgart, sagt er, habe er so viele Termine, da komme er zu nichts, zum Nachdenken schon gar nicht. In Rottweil steigt seine Sekretärin zu, Hilde Troje, die seit 1970 für ihn arbeitet. In Spaichingen war Teufel als junger Mann Bürgermeister. Jetzt ist er 65 Jahre alt und Ministerpräsident, aber nur noch bis April. Er hätte gerne weitergemacht. Es gab bei ihm keine Skandale. Natürlich nicht. Der Druck seines hochehrgeizigen, hungrigen und wohl auch einklein wenig intriganten Nachfolgers Günther Oettinger war aber zu groß geworden. Teufel hatte nach verbreiteter Auffassung einfach zu lange regiert, er gab auf. Im Grunde haben sie ihn abgesägt, auch ihn, wie alle Vorgänger, und wie später auch seine Nachfolger Oettinger und Mappus abgesägt werden, der Erste von Angela Merkel, der Zweite von den Wählern.
Darüber, was in ihm vorgeht, kann er noch nicht reden. Dies ist die Bedingung für ein Gespräch mit ihm. »Erwähnen Sie besser gar nicht den Namen Oettinger.« Er gilt als sensibel, auch als verschlossen.
Teufel ist ein Anti-Medien-Politiker. Im Fernsehen wirkt er bieder und langweilig, aber sein Image ist ihm vermutlich egal. Vielleicht ist er der Letzte seiner Art, vielleicht tritt mit ihm ein Typus ab, der Typus der ersten Jahre der Bundesrepublik, als Fernsehen noch nicht so wichtig war. Erwin Teufel ist das Gegenmodell zu Klaus Wowereit, zu Gerhard Schröder, zu Guido Westerwelle. Er hat nie Ehrgeiz erkennen lassen, der über sein Ministerpräsidentenamt hinausginge. Auch deswegen haben ihn im Kernbereich der Macht nicht alle für voll genommen. Ein Provinzler.
Teufel hat zwei Lebensdevisen, die oft zitiert wurden. Erstens: »Das Amt muss zum Mann kommen und nicht der Mann zum Amt.« Zweitens: »Erst kommt das Land, dann die Partei, dann die Person.«
Erwin Teufel ist an diesem Tag in Berlin mit dem Philosophen Rüdiger Safranski zum Mittagessen verabredet. Teufel hat Safranski um das Treffen gebeten, weil er dessen Schiller-Biographie so großartig findet. Der scheidende Ministerpräsident ist ein Bauernsohn, acht Geschwister, studiert hat er nie, trotzdem war er wahrscheinlich der belesenste Spitzenpolitiker.Der Sonntag ist bei ihm meistens dem zweckfreien Lesen gewidmet, ohne Politik. Talkshows sieht er selten. Der Sonntag sei ja auch der einzige Tag, an dem er mal länger mit seiner Frau zusammensitzen könne. Das finde er wichtiger.
Wenn man ihn nach Lieblingslektüre fragt, nennt er unter anderem Neil Postman, die Kulturzeitschrift »Merkur« und verschiedene Feuilletons. Wenn man ihn danach fragt, was an ihm typisch schwäbisch sei, sagt er, dass er Mundart spricht, aber zuerst denkt und dann erst spricht, dass er sich geweigert hat, in die Dienstvilla zu ziehen, außerdem, dass er seine Heimat liebe. Dann macht er eine Pause und sagt, wie zu sich selbst: »Eigenlob stinkt.«
Teufel sitzt also in seinem Büro, in der Berliner Landesvertretung. In die moderne Architektur passt er natürlich nicht hinein. Einmal hat er, als ein Reporter ihn besuchte, im Regal aus Versehen eine Dose billiges Haarspray stehen lassen. Als er sich zum ersten Mal die Haare färben ließ, war nicht das Ob in Baden-Württemberg ein Thema, sondern das Wie. Die Haare waren statt schwarz leider rötlich ausgefallen, nach anderen Beschreibungen sogar lila. Teufel hatte beim Friseur zu sehr gespart.
Er hat sich auch nur ein relativ günstiges Fertighaus geleistet, weil man, wie er sagt, sonst durch die Schulden zu abhängig wird. Urlaub macht er jedes Jahr am Bodensee, in seiner Ferienwohnung, eine kleine Wohnung, wie er betont. Einmal hat er dort in der Gegend Martin Walser kennengelernt und dessen inzwischen gestorbenen Verleger Siegfried Unseld, seitdem trafen sie sich einmal im Jahr zum Essen, Teufel, Walser, Unseld sowie Unselds Frau Ulla Berkéwicz. Walser schrieb zu Teufels 60. Geburtstag sogar ein Lobgedicht auf ihn, seinen Ministerpräsidenten.
Die Frage, ob Walser sein Freund sei, wehrt er ab. Wer soll das entscheiden? Zu Unseld der Satz: »Unseld ist Ulmer.« Damit scheint aus Teufels Sicht über Unseld alles gesagt zu sein.
Wenn man sich umhört unter denen, die ihn seit Jahrzehnten beobachten, hört man Worte wie »rechtschaffen« und »verlässlich«. Man dürfe aber nicht den Fehler machen, ihn zu unterschätzen. Der ist auch ein Biest, der kann eiskalt sein, sagt ein Journalist. Der hat auch Kerben auf
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